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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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empfing Don Mariano freundlich, servierte ihnen Tassen dampfender Schokolade »aus Cusco«, begleitet von Biskuits und Naschereien, und entließ sie mit großzügigen milden Gaben.
    Sein riesiges steinernes Palais im Viertel Saint-Pierre, im Herzen von Bordeaux, nahm sich wie ein Kloster aus. Es war voller Kruzifixe und heiliger Bildnisse, Teppiche und Bilder mit religiösen Themen, und außer der alten Kapelle gab es in den Ecken kleine Altäre, Nischen, Vitrinen mit Jungfrauen und Heiligen, vor denen Weihrauch verbrannt wurde. Da die dicken Vorhänge fast immer zugezogen waren, herrschte in dem alten, weitläufigen Anwesen ein ewiges Halbdunkel, eine Atmosphäre innerer Sammlung und Weltabgeschiedenheit, die Flora verstörte. Die düstere Feierlichkeit des Ortes brachte die Leute dazu, mit leiser Stimme zu sprechen, aus Furcht, sie könnten sich vergehen, wenn sie in diesen grabesdunklen, spirituellen Räumlichkeiten Lärm machten.
    Der Göttliche Eunuch war ein junger Spanier mit großen ökonomischen Kenntnissen, wie Don Mariano behauptete. Gegenwärtig beschäftigte er sich mit der Verwaltung der Vermögensgüter und Einkommen des Herrn de Goyeneche, aber in Zukunft würde er vielleicht in das Seminar eintreten. Er wohnte in einem Flügel des Herrenhauses, und sein Büro und sein Schlafzimmer waren schmucklos wie die Zellen eines geschlossenen Klosters. Beim Abendessen bat Don Mariano Gott darum, die Speisen zu segnen; beim Mittagessen tat es Ismaelillo, mit einerso schwülstigen Stimme und einem so verzückten, engelhaften Gesicht, daß Flora sich kaum das Lachen verkneifen konnte. Mit seiner glattrasierten, rosigen Gesichtshaut, seiner Wespentaille und seinen Händen, die weich waren wie die Haut eines Neugeborenen und gepflegte, glänzende Fingernägel hatten, war er eher hübsch zu nennen als gutaussehend. Er kleidete sich ebenso düster wie der Hausherr, aber im Unterschied zu Don Mariano de Goyeneche, der sich absolut wohl zu fühlen schien in der vollständigen Hingabe seines Körpers und seines Geistes an die Liebe zu Gott und an die Praktiken der Religion, ließ der junge Spanier – er mußte dreißig oder höchstens zweiunddreißig Jahre alt sein, im gleichen Alter wie Flora – in seinen Gesten, Blicken und Verhaltensweisen einen ungelösten Konflikt, ein Zerrissensein zwischen den äußeren Formen seines Seins und seinem Innenleben erkennen. Manchmal erschien er Flora als lauteres Wesen, das ein glühender religiöser Glaube dazu gebracht hatte, allen Lüsten und Gelüsten zu entsagen, auf das weltliche Leben zu verzichten, um sich der Rettung seiner Seele und Gott zu weihen. Doch andere Male vermutete sie in ihm ein doppelzüngiges Wesen, einen Betrüger, hinter dessen Bescheidenheit, Genügsamkeit und Güte sich ein Zyniker verbarg, der etwas vorgab, das er weder war noch glaubte, um Don Marianos Vertrauen zu gewinnen, in seinem Schatten zu prosperieren und sein Vermögen zu erben.
    Plötzlich bemerkte sie in Ismaelillos Augen ein begehrliches Funkeln, das sie argwöhnisch machte. Bisweilen provozierte sie es, nicht ohne Malice, indem sie bei den Plaudereien wie absichtslos ihren Rock hob, so daß ihr schmaler Knöchel zum Vorschein kam, oder, scheinbar darauf erpicht, sich keine Silbe von Ismaelillos Worten entgehen zu lassen, ihm derart nahe rückte, daß der junge Spanier sie riechen und die Berührung ihrer Haut spüren mußte. Dann verlor er die Kontrolle über sich, wurde blaß oder rot, seine Stimme veränderte sich, er kam ins Stottern und sprang zusammenhanglos von einem Thema zum anderen.Er hatte sich in diesem alten Haus mit dem Geruch nach Sakristei in die junge Frau verguckt, kaum daß er sie gesehen hatte. Flora wußte es vom ersten Tag an. Er hatte sich in dich verliebt, und das mußte ihn zerreißen. Aber er wagte nie, dir etwas zu sagen, das über die konventionelle Freundschaft hinausging. Doch seine Augen verrieten ihn, und Flora erblickte in ihnen oft ein gieriges Aufleuchten, das sagen wollte: Wie gern wäre ich frei, wie gern würde ich Ihnen sagen können, was ich fühle, Ihre Hand fassen und sie küssen, Sie bitten, mir zu erlauben, daß ich Ihnen den Hof mache, Sie liebe, Sie bitte, meine Frau zu werden und mich zu lehren, was Glück ist.
    In dem Jahr, das sie in diesem Haus verbrachte, während über ihre Reise nach Peru entschieden wurde, lebte Flora wie eine Prinzessin, wenn die ständigen religiösen Zeremonien sie auch langweilten. Ohne die Lektüre – niemals hatte

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