Das Paradies ist weiblich
beschlossen, sich einen freien Abend zu gönnen, um mit ihren Freundinnen
dem Tanzvergnügen beizuwohnen.
Sie probiert Ohrringe an, einen langen silbernen und einen feinen runden aus Gold. Während sie überlegt, welcher der richtige
für diesen Abend sein könnte, sagt sie, sie möchte eine ruhige Nacht verbringen, Hand in Hand mit jemandem spazierengehen,
einfach nur reden. Normalerweise würden ihre Verehrer immer schweigen, wenn sie redet – es ist mehr eine beiläufige Bemerkung
denn eine Klage.
|138| »Nicht alle Männer schweigen auf dieselbe Art«, erklärt sie, und zum ersten Mal bemerke ich an ihr einen persönlicheren Ton.
Die Vorstellung vom idealen Mann oder der idealen Frau, der Traum, es gäbe jemanden, der genau zu einem passt, und man müsse
nur ein wenig guten Willen aufbringen, um ihn zu finden, ist anscheinend allein ein Merkmal unserer Kultur. Das Kino hat uns
an das Happy End gewöhnt.
Es wird deutlich, dass eine Mosuo-Frau von einem Mann nicht unbedingt den intensiven Dialog erwartet, wie sie ihn mit ihren
Freundinnen pflegt. Eine Mosuo-Frau will nicht verstanden werden – eine Forderung, die Frauen aus meinem Umfeld durchaus stellen
und die schon tausendfach unerfüllt blieb. Die Mosuo wissen um das, was man nicht finden kann. Diese Weisheit bewahrt sie
vor Träumen, die unweigerlich zu Enttäuschung führen. Sie scheinen die Männer zu nehmen, wie sie nun mal sind.
Die Tatsache, dass sie sich nicht in die Strömung eines reißenden Flusses begeben, hindert sie indes keineswegs daran, sich
am kühlen Nass zu erfrischen.
Wenn sie auch keine großen Erwartungen an ihre Partner haben, registrieren sie doch Unterschiede im Verhalten. Non Chi hat
von den verschiedenen |139| Arten des Schweigens gesprochen. Sie weiß genau, ob ihr Partner ungeduldig ist und ihr nicht zuhört oder ob er ihr wirkliches
Interesse entgegenbringt und sich einfühlen kann. Ich habe den Eindruck, dass sie jemanden im Auge hat, der in die letztere
Kategorie fallen könnte. Vielleicht gibt sie ihm ja später beim Tanzen ein Zeichen.
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Li Jien und Non Chi reichen Jin Sik den Spiegel. Sie helfen ihr beim Anlegen des Kopfputzes.
Jin Sik hat ihre dreijährige Beziehung mit Tong Shu vor kurzem beendet. Ihren Worten entnehme ich, dass Tong Shu nicht sehr
helle, aber im Prinzip ein guter Kerl ist. Er hat sie regelmäßig besucht und ihr Geschenke mitgebracht. Sie haben wenig gesprochen,
aber es hat ihr gereicht. Tong Shu ist muskulös und für alle Arbeiten zu haben, bei denen man Kraft braucht. Seine Vorliebe
gilt dem Fischen. Die meiste Zeit verbringt er am Ufer des Sees, wo er breitbeinig im Kanu steht, sein Netz auswirft und es
anschließend voller kleiner ovaler Fische wieder einholt, die seine Mutter in einer Pfanne brät.
Fische – das ist seine Welt. Fische brachte er ihr als Geschenk dar, ohne je auf den Gedanken zu kommen, dass seine Angebetete
sie zwar entgegennahm, jedoch heimlich zu den anderen legte, die ihre Brüder gefangen hatten.
|141| Im Nachhinein glaubt Jin Sik, dass Tong Shu tatsächlich ein wenig zurückgeblieben war. Sie hatte sich sehr bemüht, dennoch
war es ihr nicht immer leichtgefallen, seine Begriffsstutzigkeit zu ertragen. Eines Abends entdeckte sie seine Mütze am Haken
der Tür einer anderen Frau – da war das Maß voll. Wenn er nicht sie besuchte, ließ er sich also von der Gunst einer anderen
beschenken. Sie hat nie aufgehört, ihn freundlich zu grüßen, doch in ihr Zimmer ist er seither nicht mehr vorgelassen worden.
Tong Shu hatte noch viele Male an ihre verschlossene Tür geklopft, bevor auch bei ihm der Groschen fiel: Es war aus.
Ein Ende nach Mosuo-Art, ohne Gezeter und ohne Vorwürfe. Ein guter Weg in das schnelle Vergessen. Vermutlich, weil die Mosuo
nicht nach einer Paarbeziehung mit Kinderwunsch, Sicherheit und gemeinsamer Zukunft streben, fallen Enttäuschung und Trauer
geringer und kürzer aus. Eine Trennung lässt sie nicht gleichgültig, aber sie bleiben nicht in ihrem Schmerz gefangen.
Jin Sik ist eine hochgewachsene Frau, und sie sieht einem direkt in die Augen. Wenn sie mich anschaut, fühle ich mich an das
alte Spiel erinnert, bei dem man verliert, wenn man dem Blick des anderen nicht standhält und als Erster blinzelt.
|142| Sie übt einen Tanzschritt zu der Musik, die wir hören.
Ich frage sie, wie sie mit Untreue umgeht. Lei gerät ins Schwitzen und raucht eine nach der anderen. Als sie
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