Das Paradies liegt in Afrika
lenkte den Rollstuhl hin zu der Wiege, in die Josy das Baby gebettet hatte. »So winzig klein«, entfuhr es ihr, als sie das zarte Geschöpf sah. »Aber danken wir Gott, dass sie gesund auf die Welt gekommen ist.«
»Hoffen wir das Beste«, erwiderte er so leise, dass Karoline ihn nicht hören konnte. Sie lag mit geschlossenen Augen und völlig entkräftet im Bett. Dass ihr Mann hereinkam und sie zärtlich küsste, spürte sie nicht einmal.
Dr. van Houwen wandte sich erneut an Sophie. »Lassen Sie ihr Wein bringen. Mit einem verquirlten Ei und Traubenzucker darin. Das gibt ihr Kraft.« Er trat noch einmal an die Wiege und presste die Lippen zusammen, als er bemerkte, dass das Neugeborene immer noch unruhig und viel zu flach atmete. »Rufen Sie mich, wenn es nötig werden sollte«, sagte er, bevor er sich verabschiedete. »Ich komme dann, so rasch ich kann.«
»Hoffen wir, dass es nicht vonnöten sein wird.« Sophie brachte ihn zur Tür und schaute ihm nach, als er seinen leichten Landauer bestieg und vom Gutshof rollte.
»So ein Unglück! Es ist so ungerecht!« Christopher Ruhland ging mit langen Schritten in seinem Büro auf und ab. Immer wieder schlug er mit der Rechten in die geöffnete linke Handfläche. Dabei liefen ihm Tränen übers Gesicht. Tränen, die er nicht fortwischte.
Stattdessen schlug er einen Weinkrug vom Tisch, die goldene Flüssigkeit ergoss sich über den hellen Wollteppich, der unter dem Schreibtisch lag. Es kümmerte den Mann, der immer noch wie ein gefangener Tiger im Käfig hin und her lief, nicht.
»Warum nur? Warum? Warum?« Er schrie es plötzlich so laut heraus, dass es im ganzen Haus zu hören war. Auch im Schulzimmer, wo Mathew Browling soeben versuchte, der kleinen Charlotte die ersten Buchstaben beizubringen, war das verzweifelte Schreien des Gutsherrn zu hören.
Victor zuckte zusammen. Charlotte begann zu weinen und barg das Gesicht in den Händen.
Der junge Lehrer seufzte unterdrückt auf. Es war wahrlich ein tragisches Unglück, das der Familie Ruhland widerfahren war. Das Baby, das vorgestern in einer Nottaufe den Namen Emily bekommen hatte, war in der letzten Nacht gestorben. Ein Herzfehler sei die Ursache gewesen, hatte der Arzt gesagt. Kein Mensch auf der Welt wäre in der Lage gewesen, die Kleine zu retten.
Karoline litt leise. Sie hatte ihre jüngste Tochter stundenlang im Arm gehalten, hatte versucht, ihr Kraft zu schenken, hatte mit dem Baby gesprochen und es mit Zärtlichkeiten verwöhnt.
Aber nur ganz selten hatte Emily die Augen geöffnet. GroÃe blaue Augen, die dann viel zu ernst die Mutter angeschaut hatten. Zumindest empfand Karoline es so. Ihr schien es, als wüsste das kranke kleine Wesen genau, dass es nur für kurze Zeit auf der Welt sein durfte.
Als Emily ihren letzten Atemzug tat, hielt Karoline sie auch im Arm. Behutsam wiegte sie die Kleine noch eine Weile hin und her, dann küsste sie sie ein letztes Mal und legte das Baby zurück in seine Wiege. Unendlich sanft zog sie dann das dünne Leinentuch über die winzige Gestalt.
»Was machst du da?« Christopher, der am Fenster gestanden hatte, kam näher, zog mit einem Ruck das Tuch fort. »Du erstickst sie ja! Sie bekommt keine Luft mehr!« Zornig sah er seine Frau an, deren Gesicht tränenüberströmt war. Ungläubig blickte er dann von Karoline zu Emily. Von dem Baby zu seiner leise weinenden Frau â und schrie auf. Es klang wie der Todesschrei eines verletzten Tieres und schnitt jedem, der ihn hörte, ins Herz.
Danach stürmte Christopher aus dem Haus, er rannte stundenlang durch die Weinberge. Er haderte mit Gott, er fluchte und weinte, er brüllte seinen Schmerz hinaus und riss an den Reben, bis seine Hände blutig waren.
Wie versteinert war sein Gesicht, als er aufs Gut zurückkam. Und so blieb seine Miene auch, als man das kleine Mädchen in einem weiÃen Sarg zu Grabe trug. Er stützte seine trauernde Frau nicht, mit gesenktem Kopf ging er neben ihr her, ganz gefangen in seinem eigenen Schmerz â und dem Zorn auf einen ungerechten und wahrlich nicht gütigen Gott.
Karoline ertrug sein Verhalten ebenso tapfer wie den Verlust ihres Kindes. Leise litt sie, wurde blass und schmal, doch sie kam ihren Pflichten nach und versuchte, Victor und Charlotte zu erklären, dass ihre Schwester nun bei den Engeln sei.
Auch der Hauslehrer
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