Das Paradies
Amira ein Taxi rufen, denn sie mußte dringend etwas erledigen. Der Fahrer brachte sie zu der angegebenen Adresse, und Amira ging in einem alten Gebäude durch einen langen Flur und las die Namen an den Türen. Schließlich entdeckte sie das unauffällige Schild mit der Aufschrift TREVERTON-STIFTUNG . Sie klopfte an und trat ein.
In dem kleinen Empfangsraum standen außer einem Schreibtisch nur ein paar Stühle. An den Wänden hingen Plakate der Weltgesundheitsorganisation, von UNICEF und der Stiftung »Rettet die Kinder«. Eine gutgekleidete junge Ägypterin blickte von ihrer Arbeit auf und lächelte.
»Womit kann ich Ihnen helfen?« fragte sie.
»Ich möchte mich nach einem ehemaligen Mitarbeiter der Stiftung erkundigen«, erwiderte Amira. »Wir haben zusammen im Niltal gearbeitet, und ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen.«
»Sagen Sie mir bitte den Namen des Mannes?«
»Dr. Declan Connor.«
»Ach, Dr. Connor«, sagte die junge Frau. »Er hat sich gestern zurückgemeldet und ist sofort weitergefahren.«
»Dr. Connor ist hier? Wohin wollte er?«
»Nach Al Tafla.«
Amira konnte ihre Aufregung nur mühsam unterdrücken. »Fliegt heute zufällig der Hubschrauber mit Medikamenten nach Al Tafla?«
»Tut mir leid. Mit dem Hubschrauber ist Dr. Connor gestern geflogen. Er wird eine Weile dauern, bis wir wieder nach Al Tafla fliegen.«
Amira versuchte nachzudenken. Sie mußte Declan so schnell wie möglich sehen. Sie konnte mit der Bahn nach Al Tafla fahren, aber das konnte eine umständliche und lange Reise werden. Sie konnte einen Wagen mieten, aber möglicherweise würde sie dann bis morgen warten müssen. Leihwagen mußte man reservieren. Sie konnte aber auch ihren Vater um den Wagen und den Chauffeur bitten.
Amira stieg am Dorfrand aus und schickte den Chauffeur nach Kairo zurück. Sie ging durch die vertrauten engen Gassen, über den Dorfplatz mit dem Brunnen und vorbei an Walids Kaffeehaus.
Vor der Krankenstation saßen die Patienten geduldig wartend auf den Bänken: die Frauen auf der einen Seite, die Männer auf der anderen. Amira blieb in der offenen Tür stehen und blickte hinein.
Connor hörte mit dem Stethoskop einen kleinen Jungen ab, der unter den wachsamen Augen seiner Mutter auf dem Untersuchungstisch saß. Amira fiel auf, wie behutsam Declan mit dem Kind umging. Er brachte es zum Lachen und sagte dann ernst: »Jetzt mußt du aber wieder richtig essen.« Der Mutter erklärte er, daß ihr Sohn jeden Morgen vor dem Essen einen Löffel von der Medzin, die er ihr gab, schlucken solle. Dann würden die Bauchschmerzen schnell vergehen.
Amira staunte, wie wenig sich Connor in der Zwischenzeit verändert hatte. Sein Arabisch klang so komisch wie immer, und sie konnte nur mühsam ihr Lachen unterdrücken.
»So, nun gehst du schön mit deiner Mutter nach Hause.« Er hob den Jungen hoch, und als sein Blick auf die offene Tür fiel, erstarrte er.
»Amira!«
»Declan! Ich war …«
Sie saßen auf der Veranda des kleinen Hauses am Nil. Er hatte sie in Gegenwart der Patienten in die Arme geschlossen und geküßt. Dann hatte er alle nach Hause geschickt. Es war ohnedies Mittag. Sie gingen Hand in Hand am Ufer entlang, während der Muezzin zum Gebet rief. Sie waren so glücklich wie damals in der Vollmondnacht.
»Mein Gott, Amira. Ich hatte dich nirgends gefunden. Khalid sagte mir, daß du mit einer vornehmen Dame nach Kairo gefahren seist. Aber er wußte nicht, wann du zurückkommen würdest. Und da heute morgen deine Patienten warteten, bin ich eben eingesprungen.«
»Ich habe dir an die Adresse von Knight Pharmaceutical geschrieben …«
»Ich bin nicht nach Schottland gegangen«, sagte er und umarmte sie noch einmal, als wolle er sich vergewissern, daß sie wirklich bei ihm war. »Ich habe eine Stelle auf einem Lazarettschiff in Malaysia angenommen. Aber ich hielt es dort nicht lange aus. Ich habe dir nach Al Tafla geschrieben. Aber du warst zu dieser Zeit in England, und anstatt dir den Brief nachzusenden, hat das Büro in Kairo ihn mit der Bemerkung, du seist nicht mehr in Al Tafla, an mich zurückgeschickt. Von der Londoner Zentrale erfuhr ich dann, daß du einen Malaria-Rückfall gehabt hattest und in England behandelt worden warst. Zu dieser Zeit hatte man dich jedoch bereits aus dem Krankenhaus entlassen. Du warst ohne Angabe einer Adresse abgereist, niemand wußte, wohin. Ich dachte, du könntest eigentlich nur in Kalifornien sein. Aber mir fiel der Name deiner
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