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Das Patent

Titel: Das Patent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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Zentrum hatte mit zahlreichen Verletzten gerechnet und sich entsprechend vorbereitet. Doch nun konnten die Ärzte, Pfleger, Krankenschwestern und Hilfskräfte, die Leben hatten retten wollen, nur noch die Toten mit so viel Würde wie möglich aufbahren.
    Chefarzt Dr. Finch, der sich fast am Ende der linken Reihe aufhielt, beugte sich gerade über einen großen Leichensack.
    Er trug wie die anderen Latexhandschuhe und zwei Chirurgenmasken übereinander. Allocco ging zu ihm und versuchte, nicht zu der riesigen, eigenartig höckerigen Plane hinzusehen, die den Boden am anderen Ende des Zeltes bedeckte, wo die Klappe der Liftkabine noch immer offen stand.
    »Wie siehts aus, Doktor?«, fragte er.
    Dr. Finch zog den Reißverschluss des Sackes zu, trug etwas in eine Liste ein und drehte sich zu Allocco um. »Wir lassen Notärzte und Sanitäter aus Columbia Sunrise und Lake Mead einfliegen.«
    »Wann sind sie hier?«
    Die Augen des Arztes über der Maske waren schon jetzt erschöpft und rot umrandet. »Sie brauchen etwa zweiundzwanzig Minuten.«
    Selbst wenn sie schon hier wären, würde es nichts mehr nützen, dachte Allocco. Was wir jetzt brauchen, ist ein Heer von Leichenbeschauern.
    »Wir haben das Büro des Sheriffs und den Chefcoroner von Clark County benachrichtigt«, sagte der Arzt, als hätte er Alloccos Gedanken gelesen. »Sie sind in einer halben Stunde hier - höchstens in vierzig Minuten.«
    Allocco nickte. Er fragte sich, was John Doe wohl davon halten würde, wenn sich die Hälfte aller uniformierten Beamten Nevadas auf diesen Ort stürzte. Es war ihm plötzlich völlig egal.
    »Wie verfahren Sie jetzt weiter?« Allocco deutete mit der Hand auf die Reihen der Tragen. Die Notfallvorschriften Utopias waren zwar ziemlich umfangreich, aber für Fälle wie diesen gab es keine Anleitung.
    »Wir stabilisieren nur den Unfallort und sortieren die Leichen, damit der Chefcoroner sie identifizieren kann.«
    »Haben Sie schon Zahlen?« Laut dem automatischen Zählwerk hatten einundsechzig Personen »Station Omega« betreten, bevor die Klappe zugegangen war, aber es bestand noch immer Hoffnung, dass in Wirklichkeit weniger Passagiere mitgefahren waren, als angenommen wurde.
    »Nein. Denken Sie an den Zustand, in dem sich das da befindet.« Dr. Finch deutete mit dem Kopf auf die klumpige große Plane im hinteren Teil des Zeltes. »Bisher sind wir bei siebenundzwanzig.«
    Siebenundzwanzig, dachte Allocco. In den 1990er Jahren hatte es in sämtlichen Freizeitparks der USA insgesamt einundzwanzig Todesfälle gegeben. Im letzten Jahr waren es nur fünf gewesen. Bei dieser unfassbaren Tragödie war die Zahl mehr als zehnmal so hoch. Sie würde in die Geschichtsbücher eingehen und dem Park für alle Zeiten anhängen.
    Wenn sich die Klappe von »Station Omega« in Zukunft schloss, mussten sich die Passagiere stets fragen, ob es noch einmal passieren konnte: ein plötzlicher Stopp,
    Finsternis, Panik; unbeschreibliche, gnadenlose Hitze. Allocco schüttelte sich. »Danke, Doktor. Ich möchte Sie nicht weiter aufhalten. Bis die Behörden hier sind, leite ich das Unternehmen vom Kommandoposten aus. Falls Sie hier unten irgendwas brauchen, geben Sie mir Bescheid!«
    Der Arzt schaute ihn kurz an, dann nickte er und wandte sich wieder seiner Liste zu. Allocco drehte sich um. Sein Blick schweifte durch das Zelt. Am anderen Ende wuchtete ein Mann einen Sack mit Reißverschluss von einer Trage. Der Sack schien ziemlich leicht. Während Allocco zuschaute, trat der Mann zurück, machte eine Drehung und legte seine Last vorsichtig am Ende einer Reihe gleichartiger Säcke ab. Dann wandte er sich der großen Plane zu, die die Kabinenklappe von »Station Omega« verhüllte, streckte einen dick behandschuhten Arm aus, hob sie an einer Ecke an und griff hinter sie. Allocco erhaschte einen flüchtigen Blick auf etwas, das so rot glänzte wie ein gekochter Hummer, dann drehte er sich um und verließ das Zelt.
     
    16:10 Uhr
    Fred Barksdale war, als laufe er schon eine ganze Stunde auf und ab: acht Schritte geradeaus, kehrt, acht Schritte zurück.
    Wahrscheinlich waren aber nur fünf Minuten vergangen.
    Während dieser Zeit hatte er sich angestrengt bemüht, an nichts zu denken. Denken war ihm zu schmerzhaft. Doch all sein Bemühen hatte nicht verhindern können, dass sich allmählich Scham, Wut, Furcht, Verwirrung und Verdruss wie ein Umhang um seine Schultern legten.
    Der andere Zelleninsasse hatte sich längst wieder hingelegt und die Augen

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