Das Patent
Schnelligkeit multipliziert.
Trotzdem lagen die Dinge, nach denen er sich am meisten sehnte - der Luxus und das ihm gemäße kultivierte Leben - noch immer außerhalb seiner Reichweite.
Hundert Millionen Dollar.
Natürlich war es unmöglich. Kaum möglich. Konnte er etwa sein eigenes System manipulieren? Außerdem war es kein Job für einen Einzelnen. Dazu brauchte man ein erfahrenes Team. Männer, die wussten, wo man Uniformen, gepanzerte Geldtransporter und dergleichen herkriegte. Dinge, von denen er selbst nicht das Geringste verstand.
Obwohl Barksdale wagemutig war, ziemlich verzweifelt nach Geldquellen suchte und rechtschaffenen Zorn empfand, war er nicht besonders mutig. Seine diskrete und geheimnisvoll klingende Annonce in der Londoner »Times«, im »Punch« und einigen anderen Zeitschriften, von denen er wusste, dass sie von Exmitarbeitern des Geheimdienstes MI5 gelesen wurden, war eigentlich eher ein Witz gewesen. Ungewöhnliche Investitionsgelegenheit. Potenzieller Mitinvestor muss in einer Sondereinheit gedient haben. Kaltblütigkeit, höchste organisatorische und Führungsqualitäten erforderlich. Kleine Anfangsinvestition, großer Gewinn. Bewerbungen von Hasenfüßen und Moralisten zwecklos. Die Annonce hatte seiner Empörung Ausdruck verliehen: Schaut mal her, was ich tun würde, wenn ich nur wollte!, hatte sie gesagt.
Doch dann hatte jemand auf die Annonce geantwortet. Und eins hatte zum anderen geführt. Und jetzt war er hier, in dieser Zelle.
In dieser Zelle...
Vor der Tür ging offenbar etwas vor sich. Barksdale blieb stehen und lauschte. Allem Anschein nach wurden weitere Wachleute fortgerufen, um sich um das zu kümmern, was in Callisto passiert war. Der Wächter, den er durch das kleine Drahtglasfenster gesehen hatte, war weg. Bei dem Gedanken an Callisto und den Wachmann Chris Greene spürte Barksdale wieder einen Schmerzensstich. Es sollte doch niemand zu Schaden kommen. Das war die Abmachung.
Auch Cracker Jack war von den Geräuschen ausreichend fasziniert, um sein Nickerchen zu unterbrechen. Er ging ans Fenster und schaute hinaus. Dann klopfte er an die Tür und schrie »He!«.
Niemand antwortete.
»He!«, schrie er, nun noch lauter.
Das jugendliche, von Akne gezeichnete Gesicht Lindberghs tauchte hinter dem Fenster auf.
»Wo ist die Toilette?«, fragte Cracker Jack.
»Später.«
»Scheiß auf später, Mann! Ich muss jetzt. Was soll ich machen - mir in die Hose kacken?«
Hinter der Tür schaute Lindbergh erst nach links, dann nach rechts. Nun drehte sich ein Schlüssel im Schloss. Die Tür ging langsam auf.
»Halt die Hände so, dass ich sie sehen kann«, sagte er. Er hob den Schlagstock. »Und versuch keine Tricks. Ich schlag zwar nicht gern mit dem Ding zu, aber wenns nicht anders geht, prügle ich los.«
Barksdale schaute zu, als die Tür sich wieder schloss. Er hörte das Knirschen des Schlüssels. Er wandte sich mit einem Seufzer um. Im Gegensatz zu Cracker Jack war ihm nicht aufgefallen, dass Lindbergh als Einziger in der Sicherheitsabteilung zurückgeblieben war.
Barksdale nahm seinen Trott wieder auf. Ihm wurde nun klar, dass die Sorglosigkeit, mit der sie alles betrieben hatten - der Plan hatte sich fast wie von selbst entwickelt -, eine Täuschung gewesen war. Es war wie in einem schrecklichen Traum, in dem ein scheinbar harmloses Ereignis auf natürliche Weise zum nächsten und übernächsten führt und man gedankenlos mitmacht, bis man sich plötzlich in einem Albtraum wiederfindet, dem man nur noch durch Erwachen entkommen kann. Ein von John Doe sorgfältig und in irreführender Absicht inszenierter Albtraum.
Barksdale blieb schlagartig stehen. Er drehte sich zur Wand um und schlug ein-, zweimal vorsichtig mit der Stirn dagegen. Hätte er doch jetzt aufwachen können... Trotzdem hätte es klappen müssen. Sie hatten jedes kleine Problem, das sich bei der Planung ergeben hatte, und jeden möglichen Fallstrick rasch beseitigt. Obwohl der Mann, der auf die Annonce geantwortet hatte und sich John Doe nannte, ebenso mysteriös wie schwer fassbar war, hatte er sich als äußerst gerissen entpuppt. Er stammte fraglos aus einem guten Stall, war hoch kultiviert und kannte Bach, Raphael und Shakespeare. Er war ein Mann, den Barksdale verstand.
John Doe wirkte tatsächlich so, als sympathisiere er mit ihm.
Im Verlauf der Planung hatte er immer mehr die Kontrolle an sich gerissen. Er hatte Barksdale genau erklärt, welches System näherer Erläuterung bedurfte oder von
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