Das peinlichste Jahr meines Lebens
beiden kenne ich.«
Ich gab ein klägliches Wimmern von mir.
Stes Blick schnellte zum Eingang des Freizeitzentrums. »Also dann, Jungs. Ich würde gern noch bleiben, aber wir müssen los. Lucy probiert heute Nachmittag neue Badeanzüge an und braucht jemanden, der ihr ehrlich sagt, was ihr steht.«
Lucy schlug ihn scherzhaft auf den Arm. Ich wünschte, sie hätte ihm eine runtergehauen. Und wisst ihr, was er machte, als er sie ins Auto manövrierte? Er fasste sie an.
Am Hintern.
Das Schwein.
Es war zum Heulen, und nicht bloß, weil es mich daran erinnerte, wie er den Esel auf den Hintern gehauen hat.
Während er die Tür hinter ihr schloss, blickte er wieder zum Eingang des Freizeitzentrums hinüber. Plötzlich wurde er leichenblass, sprang ins Auto und raste los, wobei er eine Wolke aus Rasierwasser und Auspuffgasen zurückließ.
Ich drehte mich um und blickte zu der Stelle hinüber, die Ste angestarrt hatte. Dort stand Dave King, die Hände in die Hüften gestemmt und starrte dem durchs Tor verschwindenden Auto meines Bruders wütend nach. Kein Wunder, dass Ste losgebraust war. Es war einer dieser wütenden Blicke, die einen verstümmeln konnten.
Zurückblickend glaube ich, dass mir Daves Blick ziemlich gut gefiel. Ich war darüber wirklich erleichtert. Vielleicht würde Dave etwas unternehmen. Wenn irgendwer dafür sorgen konnte, dass mein Bruder seine schmierigen Pfoten von Lucy ließ, dann er.
Umgang mit Gefühlen, 4 . Sitzung
Heute kam ich fünf Minuten zu spät in Miss O’Malleys Büro. Das brachte mich so aus der Fassung, dass ich dreimal an meinem Inhaliergerät saugen musste. Wie gesagt, ich komme nicht gern zu spät. Einmal habe ich deswegen einen Bus verpasst. Das ist keine besonders interessante Geschichte, aber ich ärgerte mich so sehr zu sehen, wie er ohne mich auf der Straße davonfuhr, dass es mir im Gedächtnis blieb. Es brachte meine Planung für den ganzen Nachmittag durcheinander. Ich habe es gern, wenn alles geregelt ist. Doch da ich auf den nächsten Bus warten musste, blieb einer der Punkte auf meiner Aufgabenliste für diesen Tag (Handcreme gegen meinen Hautausschlag besorgen) unerledigt. Am nächsten Tag war die Haut an meinen Händen so schuppig, dass sie wie matschiger Blätterteig mit Wurstfüllung aussah. Das ist der Beweis, dass Zuspätkommen etwas Schlechtes ist.
Aber heute war es nicht meine Schuld, dass ich zu spät kam. Auf dem Weg zur Sitzung sah ich Lucy King mitten auf dem Schulhof stehen. Ich hatte sie seit ein paar Wochen nicht mehr in der Schule gesehen. Das musste ihr erster Schultag nach den ganzen Vorfällen sein. Ihr blaues Auge schien verheilt zu sein, aber sie wollte mich vermutlich trotzdem nicht sehen. Das hieß, dass ich, bloß um ihr aus dem Weg zu gehen, einen Umweg rings um das obere Schulgebäude machen musste. Doch gerade als ich glaubte, in Sicherheit zu sein, sah ich, wie Miss Skinner, die schielende Kunstlehrerin, mir entgegenkam. Ich glaube nicht, dass sie mich gesehen hat (das weiß man bei ihrem Schielen nie), doch ich musste mich in einem leeren Klassenzimmer verstecken, bis sie vorbeigegangen war. Auch mit ihr kann ich noch nicht wieder sprechen.
Als ich ankam klopfte ich, erhielt aber keine Antwort. Ich warf einen Blick in den Raum. Miss O’Malley war nicht da. Ich ergriff die Gelegenheit, mich ein bisschen umzusehen. In dem Büro befinden sich unter anderem folgende Sachen:
Sechs Plakate an der Wand. Die Themen in alphabetischer Reihenfolge: Alkohol, Händewaschen, Kopfläuse, Krankheitserreger, Mobbing und Zigaretten.
Ein ordentlicher Schreibtisch mit zwei Verbandskästen, einer Schachtel Gummibänder und einem gerahmten Pferdefoto. Als ich das sah, erschauderte ich. Seit der Sache mit dem Esel kann ich Huftiere nicht mehr ausstehen.
Eine gepolsterte Bank mit einer braunen Decke darauf. Auf der Decke sind mehrere große verkrustete Flecken. Ich will gar nicht wissen, was das ist, aber auf dieser Bank liegen die Schüler, wenn sie sich unwohl fühlen.
Zwei große Flaschen Orangensirup und eine Keksdose.
Eine Packung Latexhandschuhe. Größe: XXXL (Ich hab’s gewusst!).
Ich beschloss, einen der Handschuhe anzuprobieren. Er war locker anderthalbmal so groß wie ein normaler Handschuh. Ich konnte eine Faust machen und die ganze Hand in die Daumenöffnung zwängen. Als ich ihn wieder abstreifte und in die Packung zurücklegte, begriff ich, dass das unhygienisch war, und steckte ihn stattdessen in die Tasche. Für den Fall, dass ich mich
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