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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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an mich nehmen?«, bat sie, als Chac eine mit Federn besetzte Decke herausholte, in die mehrere harte Gegenstände eingewickelt waren. Die Decke schien uralt zu sein; die Farben waren ausgeblichen, einige Federn fehlten.
    Lächelnd drückte Ixchel das Bündel an die Brust. »Mein Schatz.« Als sie in die Gesichter um sich herum schaute, fügte sie rasch hinzu: »Nein, nicht was ihr unter einem Schatz versteht. Keine Jade oder Kakaobohnen, kein Gold oder Bernstein. Nur Papier«, sagte sie leise. »Sehr altes Papier … «
    Sie wandte sich an Chac: »Wärst du so nett, mich wieder die Stufen hinunterzutragen? Danach kann ich allein gehen.«
    Chac und Tonina tauschten einen Blick. »Gehen?«, fragte er. »Wohin?«
    »Zu mir nach Hause.«
    »Zu Euch nach Hause!«, entfuhr es Balám. »Ist denn Euer Zuhause nicht dieser Schrein?«
    »Dieser Schrein? Wie kommst du … « Ihre Augen weiteten sich. »Ah, verstehe. Ihr haltet mich für die erdengefangene Göttin. Deshalb also hast du mich gerettet«, sagte sie, zu Tonina gewandt. »Ich bin zwar alt, aber mein Alter ist nicht nach Äonen zu bemessen. Ich bin keine Göttin. Ich bin eine Frau und ebenso sterblich wie ihr.«
    Chac runzelte die Stirn. »Dann seid Ihr eine Priesterin?«
    »Nein, nichts Besonderes, mein Sohn, lediglich eine demütige Dienerin der Götter.«
    Balám war so angewidert, dass er am liebsten ausgespuckt hätte. Ein altes, gebrechliches Weib! Welch sinnlose Vergeudung von Zeit und Mühe!
    Chac dagegen klammerte sich an einen letzten Strohhalm, als er fragte: »Wie weit ist es nach Teotihuacán?«
    »In die Stadt der Götter?« Jetzt war es an Ixchel, die Stirn zu runzeln. »Lass mich überlegen. Wenn ich mich recht erinnere, liegt Teotihuacán hundert Tage im Norden. Die Straße beginnt nach sieben Tagen von hier in westlicher Richtung.«
    Die letzte Hoffnung erlosch. Chac war die Zeit davongelaufen. »Wenn du keine Göttin bist«, mischte Tonina sich ein, »wie kam dann dieser schöne unterirdische Garten zustande?«
    »Der Mann, der mich in diese Höhle sperrte, hatte mir ein langsames Sterben zugedacht und deshalb einen Vorrat für mich dort angelegt – Samen und Stecklinge, damit ich mich ernähren und somit viele Jahre der Einsamkeit durchleben könnte.«
    Einauge konnte sich nicht länger beherrschen. »Was ist dann aber aus der Göttin geworden?«
    »Lange bevor ich in diese Höhle gesperrt wurde, ging bereits die Legende von der erdengefangenen Gottheit hier um«, erklärte Ixchel. »Wie es zu dieser Legende kam, weiß ich nicht. Möglich, dass vor vielen, vielen Jahren eine Frau wie ich dort unten lebendig begraben, aber nicht gerettet wurde und starb. Um sie mag sich eine Legende gebildet haben.«
    Als sie die enttäuschten Gesichter bemerkte, fügte sie hinzu: »Aber ich werde für euch beten und die Götter bitten, euch eure Herzenswünsche zu erfüllen. Könnten wir uns jetzt auf den Weg zu mir nach Hause machen?«
    Gemeinsam verließen sie das Heiligtum, Chac erneut mit Ixchel in den Armen. In sich gekehrt stiegen sie die steilen und glitschigen Treppen hinunter. Kaum unten angelangt, verbreitete sich in Windeseile die Nachricht, dass die alte Frau nicht die erdengefangene Gottheit war und keine Wünsche erfüllen konnte.
    Wie betäubt folgte die Menge Chac über die verlassenen, von Unkraut überwucherten Straßen von Palenque. Für nichts und wieder nichts hatten sie den weiten Weg auf sich genommen, ihr Zuhause und ihre Familien verlassen. Was sollte jetzt aus ihnen werden? Und plötzlich keimte eine Vorstellung auf, vielleicht ein Gedankenblitz, der sich daraufhin wie ein Lauffeuer verbreitete: die plötzliche Erkenntnis, dass die alte Frau sehr viel Glück ausstrahlen musste.
    Sie war jedenfalls die Älteste, die man je gesehen hatte. Und sie hatte, wie sie sagte, viele Jahre unter der Erde verbracht. Wie hatte sie überlebt? Das Leben war so beschwerlich, dass Menschen im Allgemeinen nicht sehr alt wurden. Wenn aber doch, dann wurden sie verehrt, weil das Glück mit ihnen war. Wie viel mehr Glück musste mit dieser gebrechlichen Frau einhergehen, um so lange unter der Erde zu überleben?
    Einer aus der Gruppe machte auf den Quetzal aufmerksam, der ständig über ihnen kreiste. Den Mythen und Legenden nach war dieser Vogel, den man nur selten zu Gesicht bekam, ein Götterbote. Durch sein Zutun musste es die Frau in die Freiheit geschafft haben, raunten sie sich jetzt zu und schöpften, mittlerweile am Rande der Stadt angelangt, neue

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