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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Aber zuerst muss ich mein Volk suchen und herausfinden, wer ich bin. Erst dann kann ich in aller Form Palumas Mörder gegenübertreten.«
    »Wo genau gehst du eigentlich jetzt hin, Bruder?« Balám hatte sich vergeblich bemüht, den Namen von Chacs Chichimeken-Clan in Erfahrung zu bringen. Nicht zuletzt weil Ixchel ihre Leute gebeten hatte, Chacs wahre Identität nicht preiszugeben. Zu Chac selbst hatte sie gesagt: »In Namen liegt Macht. Deine Feinde könnten deinen Namen gegen dich verwenden. Deshalb hat unser Schöpfergott Huitzilpochtli verboten, dass wir uns Azteken nennen, bevor wir nicht unsere Heimat gefunden haben. Sag niemandem, wer du bist, bevor du nicht deine Familie ausfindig gemacht hast.«
    »Das verrate ich dir, wenn ich zurück bin, Bruder«, meinte Chac verschmitzt.
    Als letztes verabschiedete er sich von Tonina. Er überreichte ihr eine Kopie seiner Karte und zeigte ihr, wo entlang des Weges es zu einem Wiedersehen kommen konnte – entweder in Matacapán, in Tlacotalpán, im Schilfflachland oder an der Reiherbucht –, und schärfte ihr nochmals ein, die alte Handelsroute nicht zu verlassen. Dann küsste er sie vor der versammelten Menschenmenge auf den Mund und raunte ihr zu, dass sie sich auf der Straße ins Tal von Anahuac wiedersehen würden.

56
    Haarlos machte sich über eine weitere Kalebasse pulque her, ohne in seinem berauschten Zustand daran zu denken, vor dem ersten Schluck den Göttern ein Trankopfer darzubringen.
    In Selbstmitleid versunken, hockte er auf einem Treibholzblock, fernab des Hauptlagers, mutterseelenallein unter dem Mond und den Sternen. Nur die sich brechenden Wellen leisteten ihm Gesellschaft. Chac war nicht länger der heldenhafte Ballspieler, und ausschließlich dafür hatte Haarlos gelebt. Seit dem Aufbruch in Mayapán hatte Chac kaum gespielt. Dann war auch noch die geliebte Ehefrau von Haarlos gestorben, und jetzt betrog ihn seine neue Frau mit einem Flötenschnitzer.
    Nach einem weiteren herzhaften Schluck fuhr sich Haarlos mit seiner großen Hand über den Mund und fing an zu schluchzen. Er sehnte sich zurück nach längst vergangenen Tagen, als das Ballspiel ihm alles bedeutet, er dem Sieg entgegengefiebert, der Wettleidenschaft gefrönt, seinen Helden auf den Schultern getragen hatte. Bis ans Ende der Welt wäre Haarlos Chac gefolgt, sofern sie irgendwann nach Mayapán und zu den Wettkämpfen zurückgekehrt wären.
    Bis sich Chac als abscheulicher Chichimeke zu erkennen gegeben hatte!
    Haarlos stieß die leere Kalebasse beiseite, stand auf und stolperte blindlings in den Wald, achtete weder auf hinderliche Schlingpflanzen noch auf scharfkantige Farnwedel, die ihm ins Fleisch schnitten. Die Welt war ihm unter den Füßen weggezogen worden.
    Torkelnd erreichte er ein Lager, in dem Männer um kleine Feuer herum saßen und Frauen die Nacht mit dem vertrauten Klatschgeräusch erfüllten, das mit der Herstellung von Tortillas einherging. Er blieb stehen, blinzelte.
    Sein Blick blieb an Balám hängen, der ihn verwundert anstarrte. Als er sich dann langsam erhob, fiel Haarlos ein, dass Balám ja ein Maya-Prinz war und ein wahrer Held des Ballspiels.
    Balám ging auf den noch immer schluchzenden Mann zu. Er wusste, wer er war. Und da er seinen Kummer verstand – manch einer von Chacs Anhängern hatte seine Verwandlung vom Maya zum Barbaren als Verrat empfunden –, legte er die Hand auf die breite Schulter von Haarlos und sagte: »Bist du gekommen, um mir etwas zu sagen, Freund?«
    Haarlos sah sich zwei Baláms gegenüber. Dann wurde ihm speiübel. »Euch etwas zu sagen?«, lallte er. Ja!, durchzuckte es ihn. Ja, ich muss Euch etwas sagen! Ich muss die Welt wieder zurechtrücken. Ich bin ein einfacher Mann, der nur für eine Sache lebt! Geht und ruft Chac, bringt ihn wieder zur Vernunft, auf dass wir umkehren können, zurück nach Mayapán und zu den Spielen. »Mein Herr begibt sich ins Hochland, Erhabener Gebieter«, sagte er schleppend. »An den Texcoco-See. Um einen Stamm namens Chapultepec ausfindig zu machen. Mein Herr behauptet, ein Chapultepeke zu sein, und Ihr müsst ihm sagen, dass er das nicht ist.«
    Schluchzend sank Haarlos auf die Knie, kippte dann zur Seite. Bevor er die Besinnung verlor, fiel ihm ein, dass Chac sein eigenes Leben riskiert hatte, um ihn, Haarlos, aus einem tödlichen Morast zu ziehen.

    Kurz vor Tagesanbruch waren Balám und seine Männer zum Aufbruch bereit. Nachdem er nochmals einen Blick auf den Lagerplatz geworfen hatte, um sich zu

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