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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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hatte sich zum Glück überreden lassen, seine Tochter mit einem anderen Mann aus Chacs Kreis zu verheiraten und auch für sich selbst eine andere Frau zu erwählen. Gemäß uralter Gepflogenheit waren die beiden jetzt also Verbündete.
    Während er mit beiden Händen Toninas Gesicht umfasste, sagte Chac: »Früher dachte ich ausschließlich an mich; die Nöte anderer blieben mir verborgen. Ich war deswegen nicht unbedingt ein schlechter Mensch, aber ein Held war ich auch nicht. Du hast mir die Augen geöffnet. Dafür und für vieles andere danke ich dir. Ich liebe dich.« Er küsste sie wieder, sanft und liebevoll, inbrünstig.
    Dann trat er rasch zurück, denn er wusste, wie schmal der Grat zwischen Selbstdisziplin und Verlangen war, so schmal wie der dünne Streifen Mondlicht, der durch die Äste fiel. Noch ein Moment länger zusammen mit Tonina, noch ein Wort von ihr, und es wäre um ihn geschehen.
    Sehnsüchtig schaute er sie an, sie, die so vieles verkörperte – das unbedarfte Mädchen, dem man befohlen hatte, in der Großen Halle von Mayapán als Wahrsagerin aufzutreten; das aufmüpfige Mädchen, das ihm außerhalb von Uxmal weggelaufen war und dann von ihm gefordert hatte, die Führung der Menschen, die ihnen folgten, zu übernehmen; das verführerische Geschöpf, das ihn in den Petén-See gelockt hatte.
    Die Frau, die eben noch in seinen Armen gelegen hatte, bereit, sich ihm hinzugeben.
    »Sobald ich zurück bin, heiraten wir«, sagte er. »Und in unserer Hochzeitsnacht, liebste Tonina, werden dir mein Herz und mein Körper beweisen, wie sehr ich dich liebe.«

55
    Auch wenn sich am Horizont dunkle Gewitterwolken zusammenbrauten, wurde unter einem strahlenden Sommerhimmel Chacs Abschied gefeiert, ein ebenso fröhlicher wie trauriger Anlass, wusste man doch, dass er zu einer Suche aufbrach, die er nur allein unternehmen konnte.
    Haarlos warf sich ihm zu Füßen. »Herr!«, rief er. »Was habe ich verbrochen, um Euer Missfallen zu erregen?«
    Chac half dem stämmigen Mann, dem die Tränen übers Gesicht rannen, wieder auf die Beine. »Du hast keineswegs mein Missfallen erregt, mein Freund«, sagte er. »Keine Sorge, ich bin noch immer Chac der Ballspieler. Den, dem du seit Monaten folgst, gibt es weiterhin. Aber ich bin auch ein anderer. Sobald ich zurück bin, werde ich dir alles erklären.«
    »Mein Volk ist ein Stamm von Nomaden«, sagte Ixchel. »Weil wir auf der Suche nach Aztlán sind, haben wir keinen festen Wohnsitz. Gut möglich, dass sich meine Leute auf dem Chapultepec-Hügel aufhalten. Das musst du in Erfahrung bringen. Hier sind vier Namen, die du brauchen wirst.« Sie hatte H’meen gebeten, diese Namen in Form von sowohl Maya- wie auch Nahuatl-Bildzeichen zu Papier zu bringen. »Das sind die Verwandten meiner Mutter und die meines Vaters. Finde heraus, wer ihre Nachkommen sind. Wir müssen unbedingt sicherstellen, Edler Tenoch, dass zwischen dir und meiner Tochter kein enges Verwandtschaftsverhältnis besteht.«
    »Seid unbesorgt, Ehrwürdige Ixchel«, sagte Chac. »Natürlich werde ich mich unterwegs auch nach Cheveyo erkundigen.«
    Einauge trat vor. »Solltet Ihr im Schilfgebiet auf das Morastvolk stoßen«, sagte er warnend, »dann hütet Euch, ihren Frauen Schmeicheleien zu sagen. Die Männer würden Euch steinigen.« Er schenkte Chac ein paar Jadesteine und sprach ihm nützliche Begriffe auf Nahuatl vor – zum Beispiel das entsprechende Wort für »Frieden« und »Freund« –, dann rief er Lokono, den Geist des Alls, an, auf dass er Chac in seine Obhut nehme.
    H’meen bedachte Chac mit medizinischen Kräutern und einem kräftigenden Tee sowie einem beschützenden Amulett, das, wie sie beteuerte, einst der erste h’meen von Mayapán getragen hatte.
    Zu guter Letzt nahm Chac Balám das Versprechen ab, bei der Gruppe zu bleiben und sie bis zu seiner Rückkehr zu beschützen. »Ihr Ziel ist das Tal von Anahuac, Bruder«, sagte er eindringlich. »Und gleich dahinter liegt Teotihuacán, wo du hin willst.«
    »Du hast mein Wort, Bruder«, erwiderte Balám, »dass deine Leute beschützt werden. Schon weil ich dieser Kröte von Türkisrauch nicht traue.« Die Augen zu einem Schlitz zusammengekniffen, fragte er dann: »Bist du davon abgekommen, dich an den Männern zu rächen, die deine Frau ermordet haben?«
    »Die Verpflichtung, ihren Tod zu rächen, habe ich keineswegs vergessen. Natürlich werde ich nach Mayapán zurückkehren und dafür sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.

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