Das Perlenmaedchen
vergewissern, dass nichts darauf hindeutete, wohin sie sich begaben – die noch im Schlaf liegende Menschenmenge am Strand sollte annehmen, er und seine Maya seien nach Teotihuacán weitergezogen – und zufrieden feststellte, dass der Platz (bis auf den blutigen Kopf, den man Chacs Verräter vom haarigen Körper abgetrennt hatte) sauber war, wies Balám seinen Vetter an, sich möglichst lautlos mit den Männern in Marsch zu setzen.
»Ich für meinen Teil habe noch etwas zu erledigen. Ich stoße dann unterwegs zu euch.«
Es war allgemein bekannt, dass Tonina morgens zum Meer ging, um zu baden. Ganz allein. Dort sang sie ihre Gebete, legte ihre Kleider ab und schwamm dann wie ein Fisch in der Brandung. Durch die dichten Bäume erspähte Balám sie am Strand. Bis auf die schützenden Halsketten und einen Gürtel um die Taille war sie nackt. Konzentriert auf ihre Gebete, hörte sie nicht, wie er sich über den kalten Sand anpirschte, und erschrak dementsprechend, als zwei kräftige Arme sie erst von hinten um ihre Mitte packten, dann ein Arm sie an einen kräftigen Körper presste und die Hand des anderen Arms ihr den Mund verschloss. Sie wehrte sich, versuchte zu schreien und zu beißen, sie stemmte die Fersen in den Sand, aber der Angreifer war stärker und schleppte sie in den Schutz der Bäume.
Der Überfall war brutal und schmerzhaft. Tonina kämpfte gegen eine Macht an, die sie nicht bezwingen konnte. Er hielt ihr die Arme über dem Kopf fest und zwängte ihre Beine auseinander. Ihre Schreie erstickten, es gelang ihr nicht, ihn von sich zu stoßen. All seine Wut, seine Verbitterung und Verzweiflung flossen in Baláms Raserei mit ein – Yaxche, die auf dem Sklavenmarkt den Tod gefunden hatte, Ziyal, die, als man sie wegtrug, »Taati!« gerufen hatte. Meine Frau hättest du auswählen sollen!, schrie es in ihm, als er über die Wahrsagerin herfiel, die sich im Großen Saal für Paluma entschieden und damit Baláms Leben für immer zerstört hatte.
Als er fertig war, hockte er sich auf sie und trennte mit seiner Klinge aus Obsidian ihren Gürtel aus den Gehäusen der Kaurischnecke durch. Sein Blick begegnete ihrem – keine Spur von Angst war in ihren Augen zu erkennen, keine Tränen flossen, keine Beschämung drückte sich in ihren Zügen aus. Nur Trotz und Zorn. Das gefiel ihm. Er wäre gern geblieben und hätte sie noch mehrmals genommen oder sie mitgeschleppt, damit auch seine Männer sich mit ihr vergnügen konnten. Aber ihre Leute würden sie suchen, der Sache nachgehen, und Balám musste seiner Bestimmung ohne Säumen folgen.
Als er sich zum Gehen wandte, sprang Tonina auf und zerkratzte ihm mit den Fingernägeln das Gesicht, ehe ein einziger Schlag an den Kopf sie durch die Luft wirbelte und bewusstlos im Sand landen ließ.
Balám verstaute den Kaurigürtel in einem kleinen Beutel aus Rehleder, und bevor er zu seinen Leuten aufschloss, schlich er sich noch rasch in das schlafende Lager am Strand. Als er Einauge schlummernd neben der weißhaarigen königlichen h’meen entdeckte, versetzte er ihm einen Tritt. Der Zwerg schreckte hoch. Balám schleuderte ihm den Beutel aus Rehleder hin und knurrte: »Gib das deinem Herrn, wenn er zurück ist.«
57
Als Toninas Monatsblutung ausblieb, besprach sie sich mit H’meen, die ihr ein blutkräftigendes Tonikum verabreichte und den Verzehr von mehr Enteneiern empfahl. Als sich auch nach einem weiteren Monat nichts tat, vertraute sie sich abermals H’meen an, die, ohne Fragen zu stellen, fünf kleine Häufchen aus Bohnen und Kürbissamen mit Toninas Urin begoss. Sollten die Samen sprießen, so H’meen, dann stünde fest, dass ein Kind unterwegs sei. Wenn nicht, hätte das Ausbleiben der Monatsblutung andere Ursachen.
Die winzigen grünen Keimlinge, die H’meen ihr fünf Tage später zeigte, bestätigten Toninas schlimmste Befürchtung. Sie trug Baláms Kind.
Die Hure musterte den Fremden am Lagerfeuer. War er reich? Was für eine Stellung hatte er inne? Er war jung und stark und allein unterwegs, und anstatt sich zu den anderen zu gesellen, die hier für ein abendliches Mahl und einen sicheren Schlafplatz haltgemacht hatten, zog er es vor, für sich zu bleiben.
Dieser Rastplatz im Landesinneren hatte keinen Namen und glich den vielen anderen Rastplätzen entlang der Handelsstraßen – alles behelfsmäßig erstellte Siedlungen, die vor langer Zeit in Abständen von Eintagemärschen entstanden waren, um Wanderern und Händlern als Nachtlager zu dienen und
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