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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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trug? Ihren Großeltern war das Material, aus dem es gefertigt war, unbekannt. Wer hatte es ihr umgehängt? Was bedeutete es, mit welchen Menschen verband es sie?
    Vor langer Zeit hatte Guama aus Palmfasern eine kleine Hülle gewebt und darin das Amulett verborgen, sodass niemand außer Huracan und ihr selbst es zu Gesicht bekommen hatte, nicht einmal Tonina, der die Großmutter nur erzählt hatte, dass es sich um einen wundersamen Stein von rosa schimmernder Farbe handle, in den magische Symbole eingeritzt seien, und der, in die Sonne gehalten, durchsichtig wirke.
    Guama hatte Tonina freigestellt, den Stein aus der Umhüllung zu nehmen, wann immer sie den richtigen Zeitpunkt dafür gekommen halte. Oftmals war Tonina versucht gewesen, den kleinen Beutel zu öffnen, hatte es aber dann doch nicht getan. Der Talisman würde sie, so sagte sie sich, nur noch mehr zur Außenseiterin machen.
    Und dann gab es da noch dieses ausgefallene Tuch, das damals ihren kleinen Körper umhüllt hatte – feinste Baumwolle, eine Seltenheit auf den Inseln.
    Ihre Gedanken kehrten zurück zu Macu. Tonina hatte sich weniger in ihn verliebt als vielmehr in das, was er verkörperte: die Zugehörigkeit, von der sie seit jeher träumte. Durch die Heirat mit Macu würde sie sich in einem Stamm einen festen Platz sichern. Sie würde nicht mehr allein sein.
    Tonina stand auf, strich über den Gurt um ihre Taille, von dem Gehäuse der Kaurischnecken herabhingen, das Zeichen ihrer Jungfräulichkeit. Im letzten Tageslicht fuhr sie zweifelnd über die Gehäuse der Kaurischnecke. Ob ihr dieser Gürtel jemals abgenommen werden würde?
    Auf der anderen Seite der Insel hockte eine verdrossen schweigende Gruppe um ein Lagerfeuer. Die Flammen erhellten die flächigen, dunkelbraunen Gesichter von jungen Männern, die bemüht waren, die Ereignisse des Tages zu begreifen.
    Etwas Unglaubliches war geschehen, etwas, das mit Meeresungeheuern zu tun hatte und mit Todesbedrohung. Macu war ertrunken. Tonina hatte ihn an Land gezogen. Und die alte Frau hatte ihn zurück ins Leben geschüttelt. Hatte der Geist des Meermonsters versucht, sich Macus Seele zu bemächtigen? Angesichts einer solchen Ungeheuerlichkeit verschlug es den jungen Männern die Sprache.
    Macu selbst hing düsteren Gedanken nach. Den ganzen Abend über, während sie ihren Fisch gebraten und verzehrt hatten, mit jedem hinuntergewürgten Bissen gewann eine Idee in ihm Gestalt: Das Mädchen musste bestraft werden.

3
    Guama holte den kleinen Korb vom Dachsparren herunter, den sie dort seit einundzwanzig Jahren aufbewahrte, und stellte ihn behutsam auf dem Boden der Hütte ab.
    Es war an der Zeit, Abschied zu nehmen.
    Die Delphine waren zurückgekommen, hatten sich in perfekt übereinstimmenden Bögen aus dem Wasser geschnellt, sodass jeder auf sie aufmerksam geworden war. Sie hatten den ihnen eigenen Delphinschrei ausgestoßen, wie um zu sagen: Das Mädchen gehört uns.
    Nur: Wie sollte sie ihre Enkelin dazu bringen, die Perleninsel zu verlassen?
    Natürlich könnte sie Tonina einen entsprechenden Befehl erteilen, aber dies würde der alten Frau furchtbaren Kummer bereiten. Und wie entsetzlich wäre es erst für Tonina, des Hauses verwiesen zu werden, in dem sie sich wohlgefühlt hatte, und allein in einem Kanu davonpaddeln zu müssen, ohne recht zu verstehen, warum. Nein, Guama musste einen Vorwand ersinnen, damit Tonina freudigen Herzens von der Insel aufbrach.
    Als sie auf den kleinen Korb blickte, der auf den Meeren getrieben war, und auf das zusammengefaltete Tuch darin – kam ihr eine rettende Idee. Eine Notlüge …
    Die alte Frau erschauerte. Sie wusste, dass die Perleninsel nicht das Ende der Welt war, nicht einmal ihr Mittelpunkt. Weiter nördlich, östlich und südlich erhoben sich Hunderte von Inseln aus dem Meer. Viele aus ihrem Volk waren schon zu diesen Inseln gesegelt. Die Menschen dort führten ein Leben, das sich von dem auf der Perleninsel nicht sonderlich unterschied, abgesehen vielleicht von einigen Bräuchen oder der Sprache. Im Westen hingegen … Erneut überkam sie Angst, worauf sie ein Stoßgebet an Lokono richtete, den Geist des Alls.
    Im Westen lag das, was Festland genannt wurde, weil es hieß, es handle sich hierbei nicht um eine Insel, sondern um ein unendlich großes Land. Einige behaupteten, dass es dort eine völlig andere Welt gebe, mit eigentümlichen Inseln und fremdartigen Völkern – Menschen, die auf Bäumen lebten, die auf dem Kopf liefen, die durch den Mund

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