Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Nachtsichtgerät. Seine Augen richteten sich auf Maria. Gleich, dachte sie, würde er beginnen. Er würde sie foltern, wie er Doukákis gefoltert hatte. Doch er sagte nur:
»Es war nötig.« Und weil sie nicht antwortete, fügte er hinzu:
»Er wollte PERSEUS nicht auslösen.«
Er hatte also das Programm ausgelöst. Die Zahlen waren der Code gewesen. Es bedeutete, seit ein paar Minuten fraß sich der Trojaner durch die Computernetze. Sperrte Telefone. Stellte Fernsehsendern den Strom ab. Blockierte den Zugang zu Ministerien. Leitete alle Macht an die Putschregierung. Bloß war kein Mitglied der Putschregierung mehr am Leben.
Wieder fühlte sie seinen Blick auf sich ruhen. Irgendwo hatte sie gelesen, dass ein Opfer in der Gewalt eines Mörders nur eine letzte, geringe Chance hatte: zu reden. Ein Verhältnis aufzubauen. Sich nicht zu verhalten wie ein Opfer. Also fragte sie:
»Warum musste er PERSEUS auslösen?«
Er steckte sich mehr Schokoladenrosinen in den Mund. »Griechenland hat keine Regierung und keine Verwaltung mehr. Es kann seine Grenzen nicht mehr schützen. Flüchtlinge fallen ein. Häftlinge brechen aus den Gefängnissen aus. Die Strom- und Wasserversorgung bricht zusammen. Lebensmittel kommen nicht mehr in die Städte. Plünderungen, Morde. Ich hoffe auf Typhus und Cholera.«
»Sie hoffen darauf?«
»Der Mann hat meine Schwester getötet. Meine Eltern. Er musste dafür bezahlen. Das Land hat ihn zum Minister gemacht. Es hat einem Mörder zugejubelt. Griechenland muss bezahlen.«
Er erklärte es wie eine Sache, die sich mit ein wenig Nachdenken von selbst versteht. Sie fuhren durch ruhige See. Der Mond schimmerte verschwommen durch den Nebel.
»Wir alle müssen bezahlen«, fuhr er fort. »Für unser Tun. Ich hätte Sie in den Bergen töten müssen. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass Sie wieder auf Ihr Rad steigen. Ich bezahle für meine Schwäche. Sie haben die Soldaten vor der Kathedrale gewarnt. Sie haben fast alles verdorben. Sie haben meine Schulter verletzt. Auch Sie müssen bezahlen!«
Noch etwas sollte das Opfer versuchen, bevor es zu spät war: den Mörder zum Sprechen bringen. Über die Tat, die er plante. Das baute emotionalen Druck ab – Hass, Angst, sexuelle Erregung –, es steigerte die Hoffnung auf Selbstreflexion des Täters. Maria fragte:
»Was haben Sie mit mir vor?«
»Wir halten an einem einsamen Strand. Dort suchen wir einen spitzen Stein. Ich werde mit diesem Stein Ihre Nase zertrümmern, Ihre Zähne, Ihre Schultern. Ich lasse die Reste Ihres Körpers am Strand zurück und fahre weiter.«
In seiner Stimme war weder Hass noch sexuelle Erregung. Er sprach die Dinge einfach aus, wie sie passieren sollten. Ein gelbes Licht flackerte neben dem Display. Er schlug darauf mit der flachen Hand.
»Wen haben Sie in den Bergen getötet?«, fragte Maria.
»Niemanden.«
»Ich habe Blutspuren neben Ihrem Wagen gesehen.«
»Der libysche Kurier. Ich habe ihn weiter unten getötet, in einem Zypressenwald. Da oben wollte ich die Leiche bloß entsorgen.«
»Aber warum?«
»Er hat mich warten lassen. Die ganze Nacht habe ich in der Bucht gestanden wie ein Lakai. Als er endlich ankommt, ist es hell. Kann ich ihn mitten am Tag nach Libyen zurückkehren lassen? Die Küstenwache fängt ihn ab, und er redet. Kann ich zulassen, dass er sich bis zur Nacht auf der Insel versteckt und jeder sieht den Zodiac? Die Polizei fängt ihn abends ab, und er redet. Ich tue, als ob ich ihn auf ein Frühstück einladen will, und ersteche ihn. Ich lege die Leiche ab, einsam in den Bergen. Wo die Geier und Ratten Monate Zeit haben, sie zu zerfressen.«
Er knöpfte seine Uniformjacke zu. Er schien trotz der lauen Nachtluft zu frieren. »Und dann kommen Sie. Werfen Steine in meinen Plan und gegen meine Schulter. Ich habe Schmerzen, Frau Brecht. Ich muss Medikamente schlucken, gegen das Fieber. Glauben Sie, ich töte Sie einfach so? Glauben Sie, Sie werden nicht bezahlen?!«
Er schlug mit der Faust auf die gelbe Lampe. Sie flackerte nicht länger, sondern leuchtete gleichmäßig. Er schaute auf das Armaturenbrett und begriff. Er drosselte den Motor und arretierte das Steuerrad. Er klappte eine Sitzbank hoch und hob einen Reservekanister aus der Backskiste. Er öffnete den Tankverschluss. Er versuchte, den Treibstoff einzufüllen. Sie sah den fiebrigen Glanz in seinen Augen. Er konnte den vollen Kanister nicht richtig halten. Er setzte den Kanister ab und hielt seine Schulter.
»Ich mache Sie kaputt! Wie
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