Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Undine. »Der Flughafen ist geschlossen. Seit heute Morgen kein Telefon. Wenigstens hat das Hotel seine eigene Stromversorgung, sonst wären wir aufgeschmissen.«
»Sagen sie warum?«
»Wahrscheinlich irgendein Streik. Und wer zahlt am Ende die Rechnung?«
Vor dem Bikeshop hatte Maria zu Gerakákis gesagt: »Ein Motorboot, sechs Meter lang. Der Mann liegt tot im Cockpit. Ich bin höchstens zwei Kilometer nördlich von Día von Bord gesprungen. Es gibt kaum Strömung. Wenn Sie heute noch aufs Meer fahren, haben Sie eine gute Chance.«
Sie richtete sich in ihrem Liegestuhl auf. Sie sah aufs Meer. Windstille, glatte See. Kaum Boote, die heute den Hafen verließen. Ein Ferienboot, das in der Sonne trieb, war nicht verdächtig. Gerakákis würde es finden.
»Robert hat angerufen«, sagte Undine. »Er will ein neues Leben.«
»Hm.«
»Mit dem Feldenkrais-Flittchen.«
»Tja.« Maria hatte Gerakákis bis zum Schluss nichts von Elénis Tod gesagt.
»Er will, dass wir vernünftig mit der Sache umgehen. Was heißt das? Vernünftig? Sollen Julian und ich in eine kleinere Wohnung ziehen? Kann er sich abschminken!«
Maria schloss die Augen. Die Bilder vermischten sich in ihrem Kopf. Eléni, die Flüchtlinge und das Gas … Darius in der Dunkelheit seines Taxis … Yánnis, auf seiner Terrasse, bei einem Glas Cava …
»Montag bin ich beim Anwalt«, hörte sie Undine. »Ich hätte mir nie vorstellen können … Wir wollten alles anders machen.«
Vielleicht mietete er gerade ein Penthouse, in Rom, Madrid, Lissabon … Knüpfte Kontakte, verhandelte mit Investoren, plante den nächsten Coup …
»Bin ich eben nicht anders. Bin ich eben wie alle anderen. Bin ich Montag beim Anwalt.«
Die Wut würde zurückkommen, der Schmerz, die Angst, die Abrechnung ihrer Kreditkarte. Aber jetzt lag sie auf Kreta, in einer Ferienanlage am Strand. Sie spürte die Sonne auf ihrer Haut, hörte das Lachen der Kinder, das Brechen der Wellen im Sand.
»Ich will, dass er bezahlt!«
Undines Stimme war weit entfernt. Sie sah die Akrópolis, im Licht der Abendsonne, wie eine mythische Burg. Was war mit Griechenland passiert, 168 vor Christus, nach der Schlacht von Pýdna? Sie sah den Campus der Diplomatenschule auf Reihenwerder. Auch ihn entfernt, verschwommen, wie die Erinnerung an eine Zukunft, die längst hinter ihr lag.
»Maria! Guck mal!«
Sie schaute hoch. Julian stand bis zum Bauch im Wasser, die Fernbedienung in der Hand. Ließ seinen Jeep dicht an der Wasserkante fahren. Eine Welle näherte sich. Aber der kleine Jeep war schneller, das Wasser umspülte nur seine Räder. Er hupte, blinkte mit den Scheinwerfern und fuhr weiter seinen Weg.
* * *
Impressum
1. Auflage 2012
© Frankfurter Verlagsanstalt GmbH,
Frankfurt am Main 2012
Alle Rechte vorbehalten
Herstellung und Umschlaggestaltung: Laura J Gerlach
Umschlagmotiv: iStockphoto/ Peeter Viisimaa
Satz und E-Book: psb, Berlin
ISBN: 978-3-627-02185-6
www.frankfurter-verlagsanstalt.de
Über den Autor
© Laura J Gerlach
Kai Hensel, geboren 1965 in Hamburg, lebt als mehrfach preisgekrönter Autor von Drehbüchern, Theaterstücken und Reisereportagen in Berlin.
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