Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Anspannung, sogar Angst.
»Sie wissen, warum Sie hier sind?«
»Ich vermute es.«
Nun blickte auch Doukákis auf. Aufmerksam, aber ohne Nervosität. Er schien sie nicht wichtig zu nehmen. Ein Leck, man konnte es stopfen. Eine Verräterin, man konnte sie ausschalten. Er schien vom Erfolg seiner Mission vollkommen überzeugt.
»Die Wahrheit, Fräulein Brecht.«
Die Wahrheit war in diesem Raum keine Option. Niemand würde sie glauben. Sie konnte ihren Kopf aus der Schlinge ziehen. Sie konnte auf irgendjemanden zeigen. Der Rotwangige bot sich an. Eléni hatte seinen Namen genannt, Maria hatte ihn vergessen. Aber sie wusste, er war der Bürgermeister von Pátras. Sie wusste, er schaute Pornofilme mit fetten Frauen. Sie konnte das Haus beschreiben, in dem er wohnte. Sie konnte sagen, sein Deckname war Sokrates. Sie würden ihm keine Zeit lassen, seine Unschuld zu beweisen. Sie würden ihn erschießen und PERSEUS auslösen.
»Wir haben nicht endlos Zeit, Fräulein Brecht!«
Vor ihrem inneren Auge bewegte sich ein Bild. Reihenwerder, der Campus der Diplomatenschule des Auswärtigen Amtes. Sie und ihre neuen Kommilitonen an einem runden Tisch. Jeder stellte sich vor, erzählte, wie er seinen Urlaub verbracht hatte. Die Reihe kam an Maria. »Ich war in Griechenland. Bin in eine blöde Sache geraten, habe ’nen Militärputsch ausgelöst. Okay, war nicht in Ordnung. Aber die haben mir gedroht, da musste ich auf irgendjemanden zeigen, den haben sie dann erschossen. Find’s ja auch nicht gut. Aber der Tag war total stressig, ich war fix und alle … Jedenfalls herrscht da jetzt eine Junta.«
Maria richtete sich auf. Sah von einem zum anderen und sagte:
»Ich möchte eine Erklärung abgeben.«
Fünfzehn Männer in ihren Kojen, vor ihren Spinden, auf der Toilette; Gabriel hatte sie alle getötet. Schießen, schießen, die Waffe nachladen, dem Angriff von hinten ausweichen, dem Feind den Schädel brechen … Horchen, hinter einer Wand noch Gurgeln. Ein Verwundeter tastet nach seiner Waffe, Schuss in den Hals. Eine Bewegung im Augenwinkel, ein fliehender Körper. Den Mann von der Leiter reißen, töten, töten, töten …
Er hatte zwei Offiziere in ihren Kabinen erschossen. Danach hatte ihm die Rafqa nichts mehr genützt. Unter Deck hatte er das PP-90 gebraucht, ein klappbares Maschinengewehr aus russischer Produktion, robust, ohne Schnickschnack.
Er schlich sich über das Deck, im Schatten. Nichts sah er außer friedlich zusammengerollten Körpern. War es möglich, sie hatten ihn auf der Kommandobrücke trotz des Lärms nicht bemerkt? Das Schiff lag reglos im Nebel. Möglich, die Männer auf der Wache spielten Karten. Oder sie saßen vor einem Fernseher, verfolgten die Straßenschlachten in Athen.
Alles still. Er hatte getötet mit der kalten Unschuld seiner Jugendjahre. Er fühlte sich frisch und gereinigt. Er fühlte nur mäßigen Schmerz in der Schulter. Er schob neue Munition in sein Maschinengewehr und überprüfte ein letztes Mal den Sitz der Granaten. Er stieg die Treppe hoch zur Kommandobrücke …
»Das erste Mal vor einem Jahr«, sagte Maria. »Gegen zwei Uhr nachts. Er saß am Ende der Bar und bestellte einen Gin Fizz. Er fragte, wie lange meine Schicht noch dauert. Eine Stunde, er ist geblieben. Von da an haben wir uns gesehen, wann immer seine Zeit es erlaubte.«
»Wo?«
»Kreta, Mykonos, Athen …«
»Haben Sie über Politik geredet?« fragte die Frau mit der Patek Philippe.
»Selten.«
»Aber Sie studieren in Berlin Politik.«
»Was uns aneinander fesselte, war nicht Politik.«
Sie sah in die Runde. Niemand glaubte ihr. Aber es war zu spät, sie konnte nicht zurück.
»Wann haben Sie sich zuletzt gesehen?«, fragte ein Mann von rechts.
»Vorletzte Nacht.«
»Das kann nicht sein!«
»Sie wollen wissen, warum ich hier bin?! Woher ich alle Details kenne?! Dann lassen Sie mich reden, solange ich noch lebe! Solange Sie leben!«
Der letzte Satz hatte funktioniert; Augenbrauen hoben sich.
»Der Kreta-Urlaub mit meiner Nachbarin«, fuhr sie fort, »war Tarnung. Drei Nächte Athen, er hatte den Flug gebucht, ein Zimmer im Titania reserviert, natürlich anonym, niemand durfte von unserer Beziehung wissen. Aber schon in der ersten Nacht spürte ich, etwas war anders.«
Eine Stimme von links: »Was war anders?«
»Er kam erst nach Mitternacht. Er wirkte nervös. Er funktionierte im Bett nicht wie früher. Er musste, um einzuschlafen, eine Tablette nehmen.«
Sie ahnte Doukákis’ Silhouette in den
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