Das Pest-Gewölbe
Es kam ihr so anders vor, aufgeregt und intensiv, was sicherlich Unsinn war, aber in ihrer Situation glaubte sie einfach alles.
Noch immer dachte sie an den Traum. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals etwas derartig Unheimliches geträumt zu haben. Dieses schreckliche Gewölbe mit seinen düsteren Gängen und Bogentüren und dem fast schwarzen Spiegel, in dem sie trotzdem das Bild einer ungewöhnlichen Frau gesehen hatte.
Auf die Träumerin hatte die Person gewirkt wie ein Wesen vom anderen Stern oder wie eine Gestalt aus einem SF-Film. Wie kam sie nur dazu, so etwas zu träumen? Da hatte überhaupt kein Grund dafür bestanden.
Sie hatte auch niemals Bücher über dieses Thema gelesen, obwohl diese im eigenen Verlag verlegt wurden.
Warum also?
Sie wußte, daß Träume Warnungen vor irgendwelchen Ereignissen in der Zukunft sein sollten, aber in welch einem Zusammenhang stand dieser Traum zu ihrer Zukunft?
Sollte ihr damit etwa das Alter nähergebracht werden? War diese Umgebung bald die dunkle Welt, in der sie eintauchte, um die letzten Jahre zu vergessen?
Vivian Greyson zermarterte sich das Gehirn, zu einer Lösung kam sie jedoch nicht.
Statt dessen hockte sie unsicher auf der Bettkante. Die Frau kriegte einfach nicht die Kurve, um normal aufzustehen, dabei zeigte die Uhr bereits die neunte Stunde des Tages an. So lange schlief sie sonst nur an Wochenenden. Als sie das Klopfen an der Tür hörte, schreckte sie zusammen. »Ja, wer ist da?«
Sie hörte das frische Lachen. Es war ihr Mann. »Na, schon wach, Darling?«
»Kaum.«
»Darf ich hereinkommen?«
»Nein, nein!« Ihre Antwort klang leicht schrill. »Um Himmels willen, bleib nur da!«
»Warum denn? Was ist los?«
»Ich hatte einen schrecklichen Traum…«
»Wie du meinst, aber ich muß ins Geschäft.«
»Kannst du, Ronald, kannst du.«
»Eine Frage noch – ja?«
»Aber nur eine, ich möchte ins Bad.«
»Schade.« Seine Stimme klang enttäuscht. »Ich dachte, du wärst schon dort gewesen.«
»Nein, das war ich nicht. Du willst bestimmt wissen, wie die neue Creme gewirkt hat.«
»Klar, das interessiert mich.«
»Ich werde es dir auch später berichten.«
»Gut.« Sie hörte, wie er sich räusperte. »Ich bin davon überzeugt, Vivian, daß alles in Ordnung ist.«
»Nur in Ordnung?«
»Nein, Darling, besser.«
Vivian verzog das Gesicht. Dieser Schuft, dachte sie. Ich glaube ihm kein Wort. Kein einziges Wort. Der nimmt mich auf den Arm, der amüsiert sich über mich.
»Ich muß dann gehen, Vivian, schönen Tag noch.«
»Ja, Ronald, dir auch.«
»Danke – see you.«
Er ging, und Vivian Greyson war froh darüber. Sie hätte seine Fragen auch nicht mehr länger ertragen können. Sie mußte sich zunächst mit sich selbst beschäftigen.
Vivian gab sich einen Ruck, bevor sie aufstand. Etwas schwankend blieb sie stehen, die Stirn gekraust, als wollte sie über ein bestimmtes Problem nachdenken.
Es zuckte ihr in den Fingern, die Arme zu heben und nach ihrem Gesicht zu fassen. Nur einmal die Kuppen über die Haut gleiten lassen, um zu sehen, ob dort tatsächlich eine Veränderung eingetreten war.
Sie tat es nicht. Aber sie schaffte es, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Sie wollte herausfinden, ob es ihr wohl ein anderes Feeling vermittelte, ob die Haut stark gespannt war oder nicht. Bei einigen Salben und Pasten war das der Fall gewesen.
Hier spürte sie nichts. Und auch der Geruch war verschwunden.
Merkwürdig.
Auf den Morgenmantel verzichtete Vivian. Das seidene Etwas umwallte ihre Gestalt wie eine lichtblau schimmernde Wolke. Ins Bad konnte sie vom Schlafzimmer aus gelangen. Auf dem Weg dorthin dachte sie an die bald stattfindende Buchmesse.
Sie war nicht so groß wie die in Frankfurt, aber auch die Londoner Messe gewann immer mehr an Reiz. Durch eine geschickte Publicity war es auch gelungen, mehr ausländische Verlage nach London zu holen, und die Besucherzahlen stiegen von Jahr zu Jahr.
Die schwere Tür zum Bad schwang lautlos auf, und die Gattin des Verlegers betrat ihr goldenes Reich.
Ja, sie liebte es, wenn sich Teile ihres Gesichts oder des Körpers in den goldenen Armaturen widerspiegelten. Sie mochte kostbaren Marmor und herrlich weiche Hand- und Badetücher. Die Welt des Luxus und der Schönheit war etwas Wunderbares, und Vivian wollte sie so lange wie möglich genießen.
In diesem großen Raum mit Whirlpool, großer Wanne und abgeteilter Dusche gab es nicht nur einen Spiegel, sondern gleich mehrere. Der
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