Das Pesttuch
war ich gezwungen gewesen, meine Haltung zu ändern.
Doch dann verbannte ich die Gedanken an das letzte Jahr und versuchte, mir die Zukunft vorzuste l len. Bei einem Blick durch die leere Kate wurde mir klar, dass ich kaum noch etwas b esaß, was wir bra u chen würden. Ich beschloss, Grund und Kate dem Quäkerkind Merry Wickford zu geben. Sollte sie sich zum Bleiben im Dorf entschließen, hätte sie damit anstatt einer Pächterhütte ein sichereres Dach über dem Kopf und für eine solide Zukunft noch etwas anderes als nur eine Bleiader. Die Herde würde ich Mary Hadfield im Tausch gegen ihr älteres Maultier geben. Es würde uns sicher aus dem Dorf geleiten. Wohin? Ich hatte nicht die geringste Ahnung.
Noch immer besaß ich jene Schiefertafel, auf der mir Elinor das Schreiben beigebracht hatte. Ich holte sie heraus und kritzelte gerade meine Verfügungen hin, als die Katentür aufging. Er hatte nicht geklopft. Im plötzlichen Lichteinfall konnte ich sein Gesicht nicht erkennen.’ Ich sprang von meinem Schemel auf und brachte den Tisch zwischen uns.
»Anna, weich doch nicht vor mir zurück. Was zwischen uns passiert ist, tut mir Leid, alles tut mir Leid. Mehr als du ahnen kannst. Aber deswegen bin ich nicht hergekommen. Ich weiß ja, dass du noch nicht bereit sein kannst zuzuhören oder mich wenig s tens in dieser Sache anzuhören. Und dazu hast du auch alles Recht der Welt. Ich bin jetzt nur geko m men, um dir von hier fortzuhelfen.«
Offensichtlich hatte ich bei diesem Satz ein ve r blüfftes Gesicht gezogen, denn er fuhr hastig fort: »Ich weiß, was heute Morgen auf Bradford Hall vo r gefallen ist – in allen Einzelheiten.« Als ich ihn u n terbrechen wollte, hob er die Hand. »Mistress Bra d ford lebt und erholt sich zusehends. Ich komme g e rade von ihr. Ich habe heute intensiv Gewissenserfo r schung betrieben. Du, Anna, hast mir wieder in Eri n nerung gerufen, was meine Pflichten sind. Ich bea b sichtige nicht, wie bisher weiterzumachen und mich in meiner gallebitteren Trauer zu suhlen. Denn du lebst trotz deiner Trauer und bist nützlich und bringst anderen neues Leben. Eines hast du mich letztlich gelehrt: dass man kein gläubiger Mensch sein muss, um Trost z u bringen. Meiner Ansicht nach hast du heute mehr als zwei Leben gerettet.« Er machte einen Schritt, als wolle er um den Tisch herumgehen, dor t hin, wo ich stand. Mein Gesichtsausdruck ließ ihn verharren.
»Anna, ich bin nicht hergekommen, um dir all das zu sagen, denn eines kann ich mir gut vorstellen: dass du meinst, du hättest dir vermutlich von mir schon genug über meine Gefühle anhören müssen. Ich bin gekommen, weil ich nicht weiß, ob dir klar ist, dass du in Gefahr schwebst. Denn das tust du, Anna, und zwar sehr. Schon bald wird es Elizabeth Bradford dämmern, dass du eventuell die einzige Augenzeugin für ihren Mordversuch bist. Ihr Vater wünscht dem Kind schon längst den Tod. Für einen solchen Mann ist es eine Kleinigkeit, auch noch dein Leben auf den Schuldschein zu setzen. Ich möchte, dass du Anteros nimmst.« Einen Augenblick flacke r te es in seinen Augen belustigt auf. »Schließlich wi s sen wir ja beide, dass du mit ihm zurechtkommst.«
Ich stotterte ein paar abwehrende Worte und mei n te, eigentlich hätte ich Mary um ihr Maultier bitten wollen. Wieder brachte er mich zum Schweigen. »Du musst schnell vorankommen. Durch einen glücklichen Zufall bin ich gerade Ralf Pulfer bege g net, einem Bleihändler aus Bakewell. Er bricht noch heute mit einer Ladung Bleibarren aus den Peakgr u ben zum Hafen von Liverpool auf. Wenn du vor se i ner Abreise nach Bakewell kommst, wäre er damit einverstanden, dir bis zu Elinors Vater, meinem Gönner, Geleit zu geben. Sein Besitz liegt unmitte l bar an jener Wegstrecke, die Pulfer nehmen wird. Ich habe ein Empfehlungsschreiben aufgesetzt, das deine Situation erläutert. Anna, meiner Ansicht nach wäre das eine gute Wahl für dich, denn er ist ein feiner Mensch, und sein Besitz ist riesig. Irgendwo wird er sicher einen Platz für dich finden. Im Dorf oder auf den Höfen, vielleicht sogar in seinem eigenen Hause. Die Bradfords werden wohl kaum daran denken, dich dort zu suchen. Sie werden eher auf der Straße nach London nach dir Ausschau halten. Aber jetzt musst du fort.«
Und so verließ ich mein Zuhause. Kaum blieb mehr Zeit für einen letzten Blick auf die Räume, in denen sich mein bisheriges Leben abgespielt hatte. Das Neugeborene erwachte nicht, als ich das Tuch erneut hochhob
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