Das Pesttuch
Mutter in ihrer Todesangst beruhigen, egal, wie w e nig sie von meinen Künsten hielt. Mit besänftigender Stimme erzählte sie von dem hohen Lob, das sie über mich als Hebamme gehört hätte, und dass jetzt alles gut werde. Mein Blick wanderte über den Körper ihrer Mutter zu ihr hinüber. Ich schüttelte leicht den Kopf. Ich wollte niemanden im Irrtum über die ve r zweifelte Lage lassen. Elizabeth hielt meinen Blick fest. Ihr Nicken bedeutete, dass sie sehr wohl verstand, was ich meinte.
Kaum hatte ich das heiße Wasser, wusch ich mir die Hände und entfernte das durchnässte Handtuch zwischen Mistress Bradfords Beinen. Die von der Zofe gebrachte Butter brauchte ich nicht. Durch den ununterbrochenen Ausfluss von Körperflüssigkeiten war ihre Öffnung genügend glitschig. Trotz ihres A l ters fühlte sich ihr Fleisch fest an. Ihr Körper schien fürs Kindergebären gut geeignet, denn trotz ihrer ä u ßerlich schlanken Figur besaß sie ein reichlich bre i tes Becken. Kaum waren meine Hände drinnen, konnte ich spüren, dass ihr Muttermund voll geöffnet war. Mühelos glitten meine Finger hinein. Da die Fruchtblase noch nicht geplatzt war, riss ich mit meinen Fingernägeln daran. Mistress Bradford stieß daraufhin einen schwachen Schrei aus und sank fast ohnmächtig zurück. Jetzt arbeitete ich rasch. Schlie ß lich wollte ich sie nicht vor der Rettung des Kindes verlieren. Ich ließ meine Hände die Lage des Kindes ertasten. Alles deutete auf eine einfache Querlage hin. Warum hatte der Chirurg dies als hoffnungsl o sen Fall abgetan? Wäre er hier geblieben, hätte er das, was ich nun versuchte, ganz einfach tun können. Doch dann begriff ich: Offensichtlich war er hier mit der Anweisung zu fahrlässigem Handeln eingetro f fen.
Da das Kind noch nicht ganz ausgereift und klein war, konnte ich es fast mühelos drehen. Ich beschwor Elizabeth Bradford, sie solle versuchen, ihre Mutter wieder zu Bewusstsein zu bringen, damit sie pressen könnte. Die Frau war zu schwach, um viel zu bewi r ken. Eine Weile befürchtete ich, wir würden deshalb scheitern. Aber irgendwie holte sie aus einem tief verborgenen Ort genau jenes winzige Maß an Kraft, das wir brauchten. Ein perfekter Schatz glitt in meine Hände, ein lebendiges kleines Mädchen.
Ich senkte den Kopf und sog ihren frischen neuen Geruch ein. Bei einem Blick in ihre tiefblauen Augen sah ich dort ein Spiegelbild meines eigenen neuen Lebens. In jenem Augenblick schien dieses kleine Mädchen genug Antwort auf all meine Fragen zu sein. Dieses winzige, einzigartige Wesen gerettet zu haben – das allein schien mir Grund genug zum L e ben zu sein. Nun wusste ich, dies war mein zukünft i ger Weg: weg vom Tod und hin zum Leben, von G e burt zu Geburt, vom Samen zur Blüte. Ein lebendiges Leben unter lauter Wundern.
Kaum war die Nabelschnur durchtrennt und ve r knotet, verlor Mistress Bradford nur noch tropfe n weise Blut. Mühelos glitt die Nachgeburt heraus. Dann brachte sie es fertig, ein bisschen Brühe zu sich zu nehmen. Insgeheim verfluchte ich den Chirurgen, weil er diese Frau im Stich gelassen hatte. Hätte er sie bereits vor Stunden entbunden, wäre sie nicht bl u tend dagelegen. Damit hätte man ganz sicher zwei Leben retten können. Jetzt würde Mistress Bradford ein Wunder brauchen, um einen derart enormen Blu t verlust zu überleben. Trotzdem wollte ich unb e dingt um sie kämpfen. Ich sagte Elizabeth Bradford, sie so l le unversehens zu meiner Kate reiten, und e r klärte ihr, wo sie ein Fläschchen Nesselsaft finden könnte. D a mit käme ihre Mutter vielleicht wieder zu Kräften.
»Nesseln?« Sie sprach das Wort aus, als hinterli e ße es einen schlechten Geschmack in ihrem Mund. Selbst in einer solchen Krise brachte diese Frau ein höhnisches Lächeln fertig. »So etwas kann ich nicht finden, davon bin ich überzeugt.« Zärtlich legte sie eine Hand auf die blasse Stirn ihrer Mutter. Beim A n blick dieses erschöpften Gesichts wurde ihr harter Blick weich. »Ich hätte ja gerne, dass sie bekommt, was du für nötig hältst, aber dazu musst du schon selbst gehen. Ich habe Angst, meine Mutter allein zu lassen. Am Ende stirbt sie noch in meiner Abwese n heit.«
Dieser Grund erschien mir vernünftig. Ich erklärte mich e inverstanden und zeigte der Zofe, wie sie das Neugeborene baden und dann möglichst rasch seiner Mutter an die Brust legen sollte. Sollte Mistress Bradford tatsächlich sterben, was sehr wahrschei n lich war, wollte ich wenigstens, dass
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