Das Pestzeichen
Susanna und verlangsamte ihren Gang.
Noch hatten die Männer sie nicht bemerkt. Gerade als sie sich hinter einer Eiche verstecken wollte, wandte Jeremias den Kopf in ihre Richtung und starrte sie an. Wie damals, als er nachts auf den Hof gekommen war, ließen seine kalten Augen Susanna das Blut in den Adern stocken, und der Schreck fuhr ihr durch die Glieder.
Doch es war zu spät. Sie konnte nicht mehr weglaufen.
Thomas, der Schäfer, schaute ihr verzweifelt entgegen. Blut lief aus seinem rechten Mundwinkel. Fast unmerklich schüttelte er den Kopf.
Was mache ich nur? , dachte Susanna und konnte ihre Angst kaum verbergen.
»Welch schönes Kind«, spottete der Bursche, der sich breitbeinig hinter den Schäfer stellte und ihr unverschämt entgegenblickte.
»Wer bist du?«, fragte Jeremias mit rauer Stimme.
Susanna war hin- und hergerissen zwischen dem Ratschlag des Vaters, Jeremias zu vertrauen, und ihrer Abneigung gegenüber diesem fremden Mann.
Vater, vergib mir meinen Ungehorsam , flehte sie in Gedanken. Und mit dem Mut der Verzweiflung stemmte sie die Hände in die Hüften und zischte: »Wer seid ihr? Und warum schlagt ihr den Schäfer?«
»Hoho, ein Weibsbild nach meinem Geschmack«, grölte der Bursche, und Susanna befürchtete schon Schlimmes, als Jeremias erneut zischte: »Wer bist du?«
»Ich komme aus dem Dorf. Die Bauernfamilie dieses Gehöfts wurde ermordet. Der Schäfer, der vor euch kniet, hat sie gefunden und nach Kölln gebracht, damit die Toten ein anständiges Begräbnis erhalten.«
»Was machst du dann hier?«
Hilfesuchend blickte Susanna zum Schäfer, und als der leicht mit den Schultern zuckte, nahm sie wieder allen Mut zusammen und log: »Ich bin die Frau des Totengräbers. Er ist mit dem Pfarrer hierher unterwegs, denn der Knecht ist verbrannt und kann nicht auf dem Friedhof beigesetzt werden.«
Susanna bemerkte, wie sich Jeremias und der Bursche unsicher anblickten.
Sie wagte erneut zu fragen: »Wer seid ihr, und was macht ihr hier? Ich habe euch nie zuvor in unserer Gegend gesehen.«
Jeremias kniff die Augen leicht zusammen und musterte Susanna. »Wir wollten den Bauern sprechen. Doch als wir den abgebrannten Hof sahen und den Schäfer beobachteten, der geschäftig hin und her lief, glaubten wir, dass er ein Plünderer sei. Nur deshalb hat mein ungestümer Begleiter ihm Prügel angedroht.«
»Und brutal zugeschlagen«, zeterte Thomas und spuckte Blut als Beweis.
»Sei nicht nachtragend«, lachte Jeremias gekünstelt und gab dem Burschen ein Zeichen, dem Mann aufzuhelfen.
»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, sagte Susanna und blickte die beiden Männer scharf an.
Jeremias kam einige Schritte auf die junge Frau zu. »Du bist also die Frau des Totengräbers?«, fragte er und musterte sie abermals.
Susanna nickte stumm, denn die Angst schnürte ihr die Kehle zu.
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich von ihr ab und sagte zu dem Burschen: »Lass uns gehen.«
»Aber die …?«, fragte der entrüstet, doch Jeremias schnitt ihm das Wort ab: »Halt’s Maul!«
Wortlos drehten sich beide Männer um und gingen zur Weide, wo Susanna erst jetzt ihre grasenden Pferde entdeckte.
Als das Hufgetrappel verklungen war, atmete sie tief durch.
»Das hast du gut gemacht, mein Mädchen«, lobte Thomas sie. »Ich hatte schon Angst, dass mein letztes Stündlein geschlagen hätte.«
»Warum warst du nicht fort, als sie kamen?«, fragte Susanna ärgerlich und ging aufgeregt hin und her.
»Ich konnte nicht ahnen, dass plötzlich Fremde vor mir stehen. Als ich die tote Kuh auf der Koppel sah, die schon erbärmlich zum Himmel stank, habe ich alle toten Tiere zu ihr gelegt, um sie zu verbrennen. Der Qualm muss die beiden Halunken angelockt haben.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Susanna.
Thomas runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Ich glaube, dass sie etwas mit dem Tod meiner Familie zu tun haben.«
Erschrocken weiteten sich seine Augen. »Warum sollten sie dann zurückkommen? Sie sehen nicht aus, als ob sie so leichtsinnig wären.«
Susanna erwog, den Schäfer in das Geheimnis des Vaters einzuweihen, doch sie zwang sich zu schweigen. »Vielleicht irre ich mich«, flüsterte sie.
»Einerlei, ob du recht hast oder nicht: Du kannst nicht allein auf dem Hof bleiben. Wer weiß, welche Strauchdiebe sich hier noch herumtreiben! Dieses Mal hatten wir Glück«, erklärte Thomas und wischte sich über die geschwollene Lippe.
»Ich weiß«, pflichtete Susanna ihm bei. »Zieh mit
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