Das Pestzeichen
zog seine Augenbrauen zusammen, sodass sein Gesichtsausdruck einen mürrischen Zug annahm.
»Ich bin der Ansicht, dass auch sie gefragt werden sollten. Schließlich willst du mit ihnen in ein Land übersiedeln, in dem eine andere Sprache gesprochen wird. Zudem liegt das Deutsche Reich durch diesen unsäglichen langen Krieg immer noch in Schutt und Asche. Du verlangst, dass deine Familie in eine große Stadt mit vielen Menschen ziehen soll, obwohl sie nur das Landleben kennt …«
»Hör auf! Du tust, als ob ich sie ans Ende der Welt verschleppen will«, wies der Bruder den Älteren zurecht. »Es wird ihnen in Trier besser gehen als hier. Du kennst die Stadt und weißt, dass man dort gut leben kann. Zudem beherrschen wir die deutsche Sprache sehr wohl, denn wir lesen in Hochdeutsch.«
»Man wird hören, dass ihr nicht aus dem Trierischen Land stammt«, wandte Bendicht erneut ein und fügte hinzu: »Mich verbindet mit dieser Stadt keine gute Erinnerung. Ich wurde wie ein Gefangener gehalten und habe dort meinen Lehrmeister verloren.« Als er jedoch den abweisenden Blick seines Bruders sah, seufzte er und gab sich geschlagen. »Ich sehe, dein Entschluss steht fest, und nichts und niemand wird dich umstimmen können.«
»So ist es!«, sagte Jaggi und trank angewidert den Becher mit Sud leer.
Nachdem sein Bruder nach Hause gegangen war, saß Jaggi allein in der Stube und dachte nach. Er wusste, dass Bendicht recht hatte und er mit seiner Frau Barbli schnellstmöglich über seinen Entschluss reden musste. Sein älterer Sohn Urs hatte sich damit abzufinden. »Wenn der Junge ebenfalls in den Dienst des Kurfürsten tritt, wird er ein gutes Auskommen haben, um selbst eine Familie gründen zu können. Vreni und Leonhard sind noch jung. Ihnen wird es einerlei sein, wo sie aufwachsen«, murmelte Jaggi zufrieden. Seine Gesichtszüge entspannten sich, und der Druck im Magen ließ nach.
–·–
Bendicht versuchte seinen Neffen zu trösten, der mit dem Oberkörper über dem Tisch lag und das Gesicht in seinen Händen versteckte.
»Das kann er nicht machen! Das kann er nicht machen«, jammerte Urs und schlug mit der Faust auf die Tischplatte.
Beruhigend klopfte Bendicht ihm auf den Rücken, doch das Wehklagen des Burschen wurde nur lauter. Weil Urs sich nicht beruhigen wollte, stand der Arzt auf und ging zu dem Regal, auf dem allerlei Gefäße standen. Um die kleine Schrift auf den Töpfen besser lesen zu können, kniff er leicht die Augen zusammen.
»Ah, da ist es!«, murmelte er, als er das Gefäß mit der Baldriantinktur entdeckte. Er zählte mehrere Tropfen von dem Beruhigungsmittel auf einem Holzlöffel ab und hielt ihn Urs vor die Nase. »Schluck das!«, befahl er.
Artig öffnete der Junge den Mund. »Igitt«, schimpfte Urs und wollte die Medizin ausspucken.
»Wage es, und du wirst mehr Tropfen schlucken müssen«, drohte der Oheim. Gehorsam würgte Urs das Heilmittel hinunter und schüttelte sich.
»Trink verdünntes Bier hinterher«, sagte Bendicht und reichte Urs den Krug. Schnell trank der Junge einige Züge und wischte sich anschließend mit dem Ärmel über die Lippen.
Nach einiger Zeit setzte die Wirkung der Medizin ein, und er beruhigte sich. »Wie kann er das machen?«, flüsterte er und blickte verzweifelt zu seinem Oheim hoch, der mit den Schultern zuckte.
»Dein Vater will das Beste für euch«, versuchte Bendicht zu erklären, doch das Gesicht seines Neffen verfinsterte sich.
»Wenn er das wirklich wollte, würde er mich bei dir lassen, damit ich alles über das Heilen lernen kann.«
»Ach Urs«, seufzte Bendicht. »Glaube mir, er will wirklich nur das Beste für dich, deine Mutter und deine jüngeren Geschwister. Allerdings meint dein Vater, dass ihr nur in der Fremde ein sorgenfreies Leben führen könnt. Betrachte es von der guten Seite. Du lernst neue Menschen kennen, wirst in einer großen Stadt leben, die dir viele Möglichkeiten bietet. Vielleicht triffst du dort ein nettes Mädchen, und mit dem Sold, den du als Soldat erhalten wirst, kannst du eine eigene Familie gründen.«
Urs’ Augen weiteten sich ungläubig. Er starrte wie abwesend auf einen Punkt an der Wand und schien darüber nachzudenken. Doch dann sagte er trotzig: »Ich will kein Soldat werden, sondern Arzt, und dir helfen, ein Mittel gegen die Pest zu finden. Nie und nimmer werde ich in den Krieg ziehen.«
Bendicht konnte sich nur mit Mühe ein Schmunzeln verkneifen.
»Der Krieg ist Gott sei Dank vorbei, mein Junge! Und ob es
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