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Das Pestzeichen

Das Pestzeichen

Titel: Das Pestzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zin meister Deana
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mir tatsächlich gelingt, ein Mittel gegen die Pest zu finden, das steht in den Sternen.«
    »Aber deine Aufzeichnungen …«, erwiderte Urs und verstummte sogleich mit hochrotem Gesicht.
    »Hast du in meinen Unterlagen geschnüffelt?«, fragte Bendicht mit ernstem Gesicht.
    Der Junge schüttelte heftig den Kopf und erklärte: »Du hattest mich gebeten, aus der Truhe das Säckchen mit den Kräutern zu holen, und dabei habe ich die Schriften gesehen.«
    »Und sicher auch gelesen«, murmelte Bendicht. Bevor Urs antworten konnte, fragte er den Neffen: »Was sagst du zu meinen Thesen?«
    Urs schaute seinen Oheim prüfend an. Als er im Blick des Arztes keinen Vorwurf mehr erkennen konnte, wagte er seine Meinung kundzutun. »Ich habe mich über mehrere Behauptungen gewundert«, erklärte er vorsichtig, ohne den Onkel aus den Augen zu lassen.
    Bendicht zog grübelnd seine Augenbrauen zusammen. »Wie meinst du das?«, fragte er.
    Der Neffe musterte den Onkel und erklärte: »Wie kann man sagen, dass es ein Pestgift gibt? Wer sollte das Verlangen haben, absichtlich Menschen mit einer solch grausamen Krankheit zu quälen?«
    »Der Feind!«, erklärte Bendicht knapp.
    »Läuft er nicht Gefahr, ebenfalls zu erkranken? Außerdem haben wir Frieden, und trotzdem sterben Menschen an der Seuche«, entgegnete Urs.
    Bendicht sah seinen Neffen wohlwollend an. »Du bist ein schlauer Bursche, Urs!«, sagte er laut und dachte im Stillen: Viel zu schade, um ein Leben als Soldat zu fristen. »Es ist sehr schwer, das zu erklären, mein Junge. Zwar haben wir Frieden, doch bereits seit Jahrhunderten hält sich das Gerücht, dass bestimmte Menschen den Schwarzen Tod über andersdenkende Bürger bringen.«
    »Welche Menschen meinst du, Oheim?«
    »Ich möchte sie nicht anklagen, denn wegen des bösen Verdachts werden sie bereits seit Jahrhunderten beschuldigt und verfolgt. Zudem glaube ich nicht an diese Verschwörungstheorie.«
    Urs kräuselte die Stirn. Er wusste nicht, wen der Onkel meinte.
    »Kennst du das Buch des Dichters Giovanni Boccaccio?«, fragte Bendicht. Urs schüttelte den Kopf.
    »In den Jahren von 1347 bis 1353 herrschte vielerorts eine große Pestepidemie. So auch in der italienischen Stadt Florenz, in der Giovanni Boccaccio lebte. Als Zeuge beschreibt er in seinen Aufzeichnungen die verheerenden Auswirkungen des Schwarzen Tods so eindringlich, dass es einen erschaudern lässt. Damals müssen täglich unzählige Leichen in den Straßen gelegen haben, sodass die Totengräber es kaum schafften, sie einzusammeln. Beim Anblick des täglichen Sterbens wurde den Lebenden bewusst, dass ihre Zeit auf Erden schnell enden konnte. Und so versuchten manche, im Angesicht des Todes ihr restliches Leben in vollen Zügen auszukosten. Ihre Familien und selbst ihre Religion wurden ihnen gleichgültig. Viele sahen keinen Sinn mehr darin, ihrer Arbeit nachzugehen, und sie bestellten die Felder nicht mehr. Stattdessen hofften sie, sich mit Tanz und Musik das restliche Leben zu versüßen. Sie trieben es zügellos und erbärmlicher als je zuvor. Völlerei, Saufgelage, Glücksspiel waren an der Tagesordnung.
    Andere Menschen hingegen fanden Trost im Glauben und in der Religion. Ihr Alltag wurde von Prozessionen oder Bittgottesdiensten geprägt. Geißlerumzüge zogen durch die Städte, und an vielen Kirchen entstanden Pestsäulen, die von der Angst der Menschen und ihrer Hoffnung auf Erlösung zeugten. Heute weiß man, dass in Florenz nur etwa der fünfte Teil der Bürger überlebte.«
    Bendicht hielt inne und fuhr sich über seinen roten Bart.
    »Erzähl weiter!«, bat Urs geschockt. Seine Fantasie reichte aus, sich das Elend und die Ausschweifungen vorstellen zu können.
    »Boccaccio«, fuhr Bendicht fort, »erzählt, dass damals in Florenz weder göttliche noch menschliche Gesetze geachtet und eingehalten wurden, denn die Diener der Stadt waren ebenfalls krank oder tot wie die Gesetzesvollstrecker. Da niemand der Bevölkerung Einhalt gebot, konnte sich jeder erlauben, was immer er wollte, ohne bestraft zu werden. In den Straßen herrschten Diebstahl und Betrug, Mord und Totschlag. Man glaubte, dass die Menschheit dem Untergang geweiht war, und deshalb musste ein Schuldiger gefunden werden.«
    Bendicht blickte seinen Neffen ernst an. »Wer war dafür besser geeignet als Menschen, die anders dachten, die einer anderen Religion angehörten, die am Rande der damaligen Gesellschaft lebten? Ihnen gab man die Schuld an der Seuche und an der Verwahrlosung

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