Das Pestzeichen
Höhe, sodass es aufgelockert zu Boden fiel. Danach schob sie es zu einem Haufen zusammen, legte Rucksack und Beutel daneben und streckte sich auf dem Strohlager aus. Ermattet schloss sie die Augen, als ihr Magen laut knurrte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nichts gegessen hatte.
Sie setzte sich auf und suchte im Rucksack nach Essbarem. Ein Stück Hartwurst, ein Kanten Käse und einige verschrumpelte Äpfel waren die magere Ausbeute in der Küche ihrer Eltern gewesen. Das Mehl, den Krug Milch, auf dem Aschereste geschwommen waren, sowie die Kohlköpfe hatte sie zurückgelassen. Doch sie wollte nicht viel essen, da sie nicht wusste, wie lange ihre Vorräte noch reichen mussten. Auf dem Boden des Tragesacks wühlte sie nach einer Handvoll Bucheckern, die sie in der Eile hineingeworfen hatte. Ihre Finger tasteten danach und zogen eine Buchecker nach der anderen hervor. Vorsichtig pulte sie die kleinen Früchte aus der Schale und kaute sie langsam. Dabei musste Susanna an ihre kleine Schwester Bärbel denken, die im Vorjahr zu gierig gewesen war und zu viele der kleinen Kerne gegessen hatte. Bärbel hatte nicht auf die Ermahnungen der Mutter gehört und später jammernd auf ihrer Bettstatt gelegen und sich den Bauch gehalten. Die halbe Nacht musste die Mutter ihr heiße Leibwickel machen, bis die Krämpfe endlich nachließen.
»Bärbel«, flüsterte Susanna schmerzerfüllt, und sie wehrte sich nicht gegen die Erinnerungen, die sich in ihre Gedanken schlichen. Obwohl ihr Tränen über die Wangen liefen, musste Susanna lächeln, denn sie erinnerte sich an den Sommer vor vier Jahren.
Ihre Schwester Bärbel, die neun Jahre jünger als sie gewesen war, hatte schon als kleines Mädchen ihren eigenen Dickkopf gehabt. Egal, was man ihr sagte oder auch verbot – Bärbel machte grundsätzlich das, was sie wollte.
Damals hatte die Vierjährige hinter dem Gehöft im Wald den großen Teich entdeckt und das Ufer als ihren Spielplatz erwählt. Weil die Mutter Angst hatte, das Mädchen könnte hineinfallen und ertrinken, sollte Johann seiner jüngsten Schwester das Schwimmen beibringen.
»Es nützt nichts, wenn ich ihr verbiete, dort zu spielen«, seufzte die Mutter. »Sie wird heimlich hingehen. Jedoch werde ich beruhigt sein, wenn ich weiß, dass sie schwimmen kann.«
»Mädchen können nicht schwimmen«, hatte Johann damals gemurrt.
»Tu, was ich dir sage! Oder willst du daran schuld sein, wenn ihr etwas zustößt?«, hatte die Mutter mit ernstem Blick befohlen. Nur widerwillig war Johann mit Bärbel zu dem Teich gegangen, die begeistert neben ihm herhopste, sodass ihre langen braunen Zöpfe hin und her hüpften. Susanna folgte den Geschwistern mit Kleidung und einem Handtuch unterm Arm.
Bärbel erkannte anscheinend nicht, dass ihr großer Bruder sauertöpfisch neben ihr herging, denn die Vierjährige plauderte munter darauflos. »Meine Freundin Hanna kann nicht schwimmen«, erzählte sie. »Aber ihre Brüder. Kannst du schwimmen?«, fragte sie Johann.
»Wenn ich es nicht könnte, wie sollte ich es dir dann beibringen?«, fragte der Bruder mürrisch.
»Ich will aber auf dem Boden schwimmen können, damit ich sehe, wo die Fische wohnen«, forderte die Kleine und hopste in einem fort.
»Das nennt man tauchen, du Gnom!«, schimpfte Johann.
»Was ist ein Gnom?«, wollte Bärbel wissen und schaute ihren Bruder mit unschuldigem Augenaufschlag an.
Hilfe suchend blickte er zurück zu Susanna, die sich auf die Lippen beißen musste, um nicht laut aufzulachen. Weil sie inzwischen den Teich erreicht hatten, fragte Bärbel nicht weiter, sondern klatschte begeistert in die kleinen Hände. Aufgeregt hüpfte das Kind auf und ab, sodass Johann fauchte: »Kannst du auch mal ruhig stehen?«
»Nein!«, erwiderte Bärbel knapp und juchzte, als Susanna ihr half, den langen Rock auszuziehen. Die Mutter hatte ihr eine Hose mitgegeben, die Johann in Bärbels Alter getragen hatte. Als das Kind die fremde Hose sah, stülpte es die Lippen nach vorn und maulte: »Das ist nicht meine Hose!«
»Ich weiß, Bärbel! Aber du kannst nur schwimmen lernen, wenn du diese Hose anziehst. Schau, dein Oberteil kannst du anbehalten«, erklärte Susanna sanft.
Johann freute sich über Bärbels Gejammer. »Bärbel hat recht, Susanna! Sie kann unmöglich meine Hose tragen. Lasst uns zurückgehen.«
Das kleine Mädchen schaute den Bruder aus großen Augen an, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: »Na gut! Ich will die Hose.«
Dann schnappte
Weitere Kostenlose Bücher