Das Pestzeichen
Sophie und zog eine Augenbraue in die Höhe.
»Der Wind hat sie vom Tisch geweht«, log Eckart und küsste den Scheitel seiner Tochter, die niederkniete, um die Schriftstücke einzusammeln.
»Der Wind?«, fragte Sophie zweifelnd und sah zum Fenster, das geschlossen war. Als Eckart ihrem Blick auswich, bestärkte sich ihr Eindruck, den sie bereits seit Tagen hegte. Ihr Mann, so hatte sie bemerkt, war ungewöhnlich nervös und gereizt.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Das geht dich nichts an«, erwiderte Eckart scharf, sodass Sophie zu Boden blickte. Sie wusste, dass er ihr nichts anvertrauen, sondern sie wegen ihrer Frage rügen würde. »Die Arbeit ist allein Angelegenheit des Mannes«, hatte er ihr bei ihrer Eheschließung klargemacht.
Schiffer war damals schon Pächter der Sulzbacher Saline und gut im Geschäft gewesen. Die Menschen brauchten Salz – erst recht, als der Krieg ausbrach und unzählige Soldaten ins Land kamen. Sogar den kaiserlichen Truppen, die zeitweise in der Grafschaft Saarbrücken einquartiert worden waren, wurden als Aufwandsentschädigung nicht nur Unterkunft, Holz und Talg für Lampen zugesagt, sondern auch Salz. Dadurch stieg der Salzverbrauch außerordentlich an, sodass zeitweise Mangel herrschte, zumal die meisten Männer an der Front dienten und kaum noch Salz abgebaut wurde. Doch nun war dieser unsägliche Krieg zu Ende, und die Menschen verrichteten wieder ihre Arbeit.
Alles schien wie früher – so glaubte Sophie und grübelte: Warum ist Eckart nur so übellaunig? Sie seufzte innerlich auf, denn sie traute sich nun kaum, ihre Bitte laut zu äußern, wegen der sie ihren Mann aufgesucht hatte.
Eckart schien ihre Zweifel zu spüren, denn er sah sie prüfend an und fragte: »Warum bist du gekommen?«
Sophie blickte auf und erklärte mit zaghafter Stimme: »Ich brauche Geld, um Mehl und Fett zu kaufen.«
Eckarts Augen wurden eine Spur dunkler, und er sog laut die Luft durch die Nasenflügel ein, wobei sich seine Schultern hoben. Sophie fürchtete, dass er jeden Augenblick losbrüllen würde, als die Tochter Marie ihre kleine Hand auf den Arm des Vaters legte und lächelnd sagte: »Ich habe alle Blätter eingesammelt, Vater.«
Schiffer blickte in die blauen Augen seiner Tochter, und sogleich schob sich das Antlitz des toten Bauernmädchens in seine Gedanken. Die Erinnerung ließ ihn unmerklich zusammenzucken. Wortlos bückte er sich zu seiner Tochter hinab und umarmte sie. Dann griff er in seine Jackentasche und zog eine Münze hervor, die er seiner Frau reichte.
»Kauf nicht mehr als nötig«, ermahnte er Sophie und setzte sich zurück an seinen Arbeitstisch. Ohne ein weiteres Wort und ohne aufzublicken, sortierte er die Papiere.
Sophie wartete kurz und verließ dann mit Marie die Stube. Fast geräuschlos zog sie die Tür hinter sich ins Schloss.
Kaum waren Frau und Tochter gegangen, sackte Schiffer wie ein alter Mann in sich zusammen. Was habe ich nur verbrochen? , jammerte er in Gedanken. Nicht ich bin schuld, sondern dieser Markus , dachte er und beklagte den Umstand, dass er mit solch menschlichem Abschaum Geschäfte machte. Er kam zu dem Entschluss, dass seine Lage ihm keine andere Wahl ließ und nur ein Mann ihn retten konnte. »Ich hasse ihn«, flüsterte Schiffer. Doch er brauchte dringend Geld, und Jeremias war der Einzige, der wusste, wo der Schatz vergraben war. »Jeremias muss die magischen Schriften finden«, murmelte Schiffer und verließ die Stube.
–·–
Die Begegnung mit der jungen Frau ging Jeremias nicht mehr aus den Gedanken. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich sie schon einmal gesehen habe , grübelte er und lenkte sein Pferd den Hügel hinauf in Richtung Saarbrücken.
Markus, der ihn zum Arnoldschen Gehöft begleitet hatte, blickte ihn von der Seite an und fragte: »Worüber sinnst du nach?«
»Sie ist nie und nimmer die Frau des Totengräbers«, erklärte Jeremias nachdenklich.
»Was macht dich so sicher?«
»Mein Gespür«, sagte Jeremias und schaute Markus gereizt an.
»Ob du recht hast, wirst du erst wissen, wenn du den Friedhofsmann aufsuchst«, erklärte Markus und pfiff ungerührt ein Lied.
Jeremias zog ruckartig am Zügel, sodass sein Pferd sich aufbäumte und wiehernd stehen blieb. »Du hast recht! Ich muss mich selbst überzeugen. Reite zu Schiffer und warte dort auf mich.«
Markus nickte und lenkte sein Pferd in Richtung Sulzbach, während Jeremias seinem Wallach in die Flanken trat und den Weg zurückjagte.
In Kölln ritt
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