Das Pestzeichen
ihrem Bruder Johann, dass er ihr als kleines Mädchen das Reiten beigebracht hatte. Allerdings war ihr altes Reitpferd ein Ackergaul gewesen und kein mächtiges Schlachtross. Erst nach mehrmaligem Hochspringen saß sie auf dem breiten Rücken des Wallachs.
Susanna nahm die Zügel auf, als hinter ihr eine Männerstimme zornig rief: »Mach, dass du von meinem Pferd absteigst!«
Erschrocken blickte sie sich um und erkannte den Burschen, der den Schäfer geschlagen hatte. Erleichtert, dass er weit genug entfernt und keine Bedrohung war, lachte Susanna laut auf. Sie trat dem Pferd kräftig in die Flanken, sodass es losgaloppierte und mühelos den Holzzaun übersprang.
»Ich bring’ dich um, du Miststück«, schrie der Bursche ihr hinterher, doch Susanna ritt unbekümmert davon.
Aufgescheucht durch Markus’ Geschrei, kamen Jeremias und Eckart Schiffer auf die Koppel gelaufen. »Was ist geschehen?«, riefen beide wie aus einem Mund. Ihre Blicke folgten Markus’ Finger, der in eine Richtung wies.
»Da reitet eine Frau davon«, stellte Jeremias nüchtern fest.
»Mit meinem Pferd!«, brüllte Markus und stampfte mit dem Fuß auf. »Wer ist dieses Weibsbild? Ich werde ihr den Hals umdrehen, wenn ich sie zu greifen bekomme.«
»Sie ist die Tochter des Bauern«, erklärte Jeremias und kniff die Augen zusammen. Als er den Korb erblickte, ging er zum Baum und warf das restliche Gemüse in die Wiese. »Nichts«, murmelte er, doch dann sah er etwas Dunkles im Gras liegen und hob es auf.
»Verdammt«, fluchte er. »Sie hat die magischen Schriften gefunden.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Schiffer zweifelnd.
»Weil die Blätter in diesem Leder eingewickelt waren.« Bevor Markus weiterfragen konnte, erklärte Jeremias: »Ich habe dem Bauern die Lederhülle mit den Schriften verkauft.«
»Das darf nicht wahr sein!«, brüllte Markus. »Wir finden das Miststück nie wieder, und ich bin mein Pferd los.«
»Beruhige dich«, murmelte Jeremias gelassen. »Eine Frau auf einem Schlachtross erregt Aufsehen. Wir werden sie finden.«
Kapitel 15
Susanna blickte sich um und sah Jeremias mit zwei Männern auf der Koppel stehen, von dem einer mit dem Fuß aufstampfte. Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und streckte ihm übermütig die Zunge heraus. »Du wirst mich niemals finden!«, rief sie Jeremias zu, obwohl sie wusste, dass er sie nicht hören konnte. Zufrieden drehte sie sich nach vorn und trat dem Pferd erneut in die Flanken, sodass es kraftvoll dahingaloppierte.
Kaum war die Sonne aufgegangen, wurde es unerträglich heiß, und Susanna lief der Schweiß über den Rücken. Sie hatte den Hof weit hinter sich gelassen und Wiesen und Äcker überquert, als sie einen Hain erblickte, wohin sie das Pferd lenkte. Kurz davor ließ sie den Wallach in langsamen Trab fallen. Durch leichtes Ziehen am Zügel und mit dem gleichzeitigen Ausruf »Brrr!« befahl Susanna dem Tier, stehen zu bleiben. Nach dem scharfen Ritt blähte das Pferd seine Nüstern auf. Sein Fell war von der Anstrengung und der Hitze nass geschwitzt und glänzte dunkel. Darunter zeichneten sich dicke Adern und Muskeln ab.
Auch Susanna keuchte, und ihre Haare klebten feucht an Hals und Wangen. Mit einer energischen Bewegung strich sie sich die Strähnen zurück, sprang vom Rücken des Wallachs und klopfte ihm den Hals. »Das hast du gut gemacht«, flüsterte sie und strich sanft über seine Stirn. Dann führte sie das Pferd in den Schutz der Bäume, wo es schnaubend den Kopf nach unten streckte und Moos vom Waldboden knabberte.
Während das Pferd graste, schaute sich Susanna um und erblickte zwischen den Bäumen die Dachspitzen mehrerer Hütten. Sie wusste, dass diese Behausungen zum Ort Heusweiler gehörten. »Komm, mein Alter«, sagte sie zu dem Pferd und nahm die Zügel auf. »Wir müssen weiter, auch wenn ich nicht weiß, in welche Richtung.«
Susanna führte den Wallach zwischen den Bäumen hindurch, bis sie auf freiem Feld standen. Hier saß sie auf. Im Schritt ritt sie zu dem Haus, das am nächsten stand. Eine Frau fütterte ihre Hühner und blickte erstaunt auf, als sie das Pferd schnauben hörte.
»Gott zum Gruße«, rief Susanna freundlich.
»Guten Morgen«, rief die Frau und hob grüßend die Hand. »Kann ich dir helfen?«, fragte sie und hielt sich wegen der Sonne die Hand vor die Stirn.
»Weißt du, wie ich nach Eppelborn gelange?«, wollte Susanna wissen. Sie hielt das Pferd an, rutschte von seinem Rücken und ging auf die Frau
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