Das Pestzeichen
verschloss er das Fässchen und stellte es zu den anderen.
Mitten hinein in die Stille glaubte Karl Geräusche vor der Hütte zu hören. Erschrocken verharrte er in seiner Bewegung. Er lauschte angestrengt, denn er erwartete keine Kunden. »Wer könnte das sein?«, murmelte er und befürchtete bereits, dass die Flurwächter der Herrschaft von Buseck sein Versteck gefunden haben könnten. Traurig blickte er zu seiner Schnapsausbeute. »Alles für die Katz’«, brummte Karl, der wusste, dass sie die Fässer beschlagnahmen würden. Zudem würde es ihn eine hohe Strafe kosten, da er für das Korn, aus dem er die Brennmaische herstellte, keine Abgaben bezahlt hatte.
Karl Lauer seufzte und wartete. Doch nichts geschah. Niemand stürmte seine Hütte oder rief seinen Namen. Langsam ging er auf die Tür zu und öffnete sie zögerlich. »Seltsam«, murmelte er, als er durch den schmalen Türspalt ein Pferd erkennen konnte. »Wo bleiben die Männer der Obrigkeit?« Alles schien ruhig. Nur das Schnauben des Tieres war zu hören. Vorsichtig trat er vor die Hütte, wo er einen leblosen Körper auf dem Boden liegen sah.
»Herr im Himmel«, fluchte Karl, als er Susanna erkannte. Er hob ihren Oberkörper an und spürte etwas Feuchtes an seinen Fingern kleben. Langsam legte er Susanna zurück und erblickte das Blut an seiner Hand. Lauer befürchtete das Schlimmste und rief ihren Namen. Doch das Mädchen antwortete nicht. Er fühlte ihren Puls am Hals. »Sie lebt«, stellte er erleichtert fest.
Behutsam trug er das bewusstlose Mädchen in seine Kate, wo er sie auf dem Boden ablegte.
Susannas Lider flatterten, und sie kam langsam zu Bewusstsein. Als sie sich aufsetzen wollte, durchzuckte sie ein heftiger Schmerz, und sie stöhnte laut auf.
»Was ist passiert?«, fragte Karl und half ihr, Umhang und Rucksack auszuziehen. Als sie schwieg und leise weinte, erklärte er: »Ich muss die Wunde untersuchen.«
Susanna nickte, und er zog ihren Leinenkittel an der Seite aus dem Rock. Karl blickte ungläubig auf die Verletzung. »Auf dich hat jemand geschossen«, stellte er fest.
»Muss ich sterben?«, wisperte Susanna mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Karl beantwortete die Frage nicht, sondern stand auf und befeuchtete ein Tuch mit Wasser. »Wer war das?«, wollte er wissen und rieb ihr das Blut von der Haut, um die Schussverletzung genau untersuchen zu können.
Susanna schrie auf. »Die Männer, die meine Eltern getötet haben«, keuchte sie.
»Wie konnten sie dich finden?«, fragte er verwundert.
»Ich weiß es nicht«, jammerte sie und presste die Zähne aufeinander, als er mit den Fingern die Wundränder abtastete.
»Du hast Glück gehabt, Mädchen! Es ist nur ein Streifschuss. Ich werde ihn mit Schnaps säubern und danach verbinden. Das wird schon wieder«, tröstete er sie, als er ihren bangen Blick sah.
Susanna atmete erleichtert auf. Als sie jedoch aufstehen wollte, wies Karl sie barsch an: »Liegenbleiben!«
Mit verängstigtem Blick schaute sie ihm zu, wie er einen kleinen Becher mit seinem Selbstgebrannten füllte. Er kniete sich seitlich neben ihre Hüfte und fragte: »Bist du bereit?«
Susanna nickte, und er goss den Schnaps über die Schussverletzung. Ein qualvoller Schrei hallte in der Hütte wider. Susanna schlug die Hände vors Gesicht und brüllte, bis das Brennen nachließ.
»Im Krieg haben wir immer die Wundränder mit Alkohol gesäubert, damit sie sich nicht entzünden«, entschuldigte Karl sein Tun und entnahm einer Truhe helle Tücher, die er zum Absieben der Maische benutzte. Er schnitt ein Stück Stoff in mehrere schmale Streifen, und aus dem Rest machte er einen breiten Lappen. Nachdem sich Susanna beruhigt hatte, sagte er: »Jetzt darfst du aufstehen« und half ihr hoch.
Susannas Beine waren kraftlos, und sie knickte ein. Lauer hielt sie fest und wartete, bis sie allein stehen konnte. Dann reichte er ihr das Leinentüchlein und befahl: »Press es auf die Wunde.«
Susanna tat, was er sagte, und verzog erneut das Gesicht.
»Ich werde dir einen Verband anlegen«, erklärte Karl.
Nachdem die Wunde verbunden war, blickte er ihr nachdenklich in die Augen. »Sie werden dich suchen!«
»Ich weiß«, flüsterte Susanna.
»Wenn sie sogar deinen Tod in Kauf nehmen, werden sie nicht eher ruhen, als bis sie dich gefunden haben. Ich nehme an, dass sie die magischen Schriften suchen.«
Susanna nickte und ließ sich langsam auf einem Schemel nieder.
»Kann ich dich kurz alleine lassen?«, fragte Karl. »Ich will
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