Das Pestzeichen
lenkte sie das Pferd auf den Weg nach Saarbrücken und versuchte, einen Teil der Strecke im Galopp vorwärtszukommen. Schon bald spürte sie, wie der Verband feucht vom Blut wurde und der Schmerz zunahm. Doch Susanna biss die Zähne zusammen und galoppierte weiter, denn bald würde der Morgen anbrechen, und Menschen würden ihren Weg kreuzen.
Endlich sah sie das Waldgebiet von Saarbrücken vor sich, von dem Karl Lauer gesprochen hatte. »Dort findest du ein Plätzchen, um dich zu verstecken und auszuruhen«, hatte er ihr geraten.
Susanna lenkte das Pferd von dem Trampelpfad fort ins Unterholz. Als sie das Gefühl hatte, weit genug in den Wald vorgedrungen zu sein, hielt sie an. Ihr Gesicht war vor Pein verkrampft, und sie konnte nur schwer durchatmen. Die Wunde schmerzte, als würde sie in Flammen stehen. Zaghaft versuchte Susanna abzusteigen, indem sie zuerst das rechte Bein über den Hals des Pferdes neben das linke hievte. Sofort zuckte ein Schmerz durch ihren Körper, der sie zu zerreißen schien. Sie zog den Fuß zurück und wartete keuchend, dass die Qualen nachließen. Erst dann entschloss sie sich, über das pralle Hinterteil des Pferdes zu Boden zu rutschen. Langsam glitt sie hinab. Wie erstarrt stand sie am Hintern des Pferdes und wartete, bis der Schmerz in ihrem Körper abebbte.
Mühsam führte sie das Tier zu einer Stelle, wo Moos und Gräser den Boden bedeckten, und ließ es grasen. Sie presste ihre Stirn an seinen Hals und weinte heftig. »Zum Glück habe ich dich, Dickerchen!«, schluchzte sie in seine Mähne. Sie wischte sich über die Augen, nahm den umgehängten Beutel von ihren Schultern und setzte sich langsam an die Wurzel eines mächtigen Baumes. Vorsichtig zog sie den Umhang von der Stelle weg, wo ihre Wunde war. Der Verband war durchgeblutet. Nun sterbe ich doch , dachte sie leidenschaftslos und legte sich zurück. Entkräftet hörte sie den Vögeln zu, die in den Baumkronen zwitscherten und den nahen Morgen verkündeten. Es dämmerte, und Susanna fiel in einen unruhigen Schlaf.
–·–
»Falls dich jemand erwischen sollte, tust du so, als ob du ihn nicht verstehst«, riet Jaggi seinem Sohn Urs.
Mit bangem Blick schaute die Mutter zwischen ihrem Mann und dem Jungen hin und her. »Mir ist nicht wohl dabei«, flüsterte sie und schlug das Kreuzzeichen.
»Reg dich nicht auf, Barbli! Mein Bruder Bendicht und ich haben als junge Burschen fortwährend im Wald das Wild erlegt. Nie hat man uns dabei erwischt.«
»Das waren andere Zeiten!«, erklärte die Frau erregt.
»Ach was!«, lachte Jaggi und gab seinem Sohn die Armbrust. »Es ist mitten in der Nacht, Barbli. Um diese Zeit ist kein Jäger unterwegs, und dank seiner grünen Kleidung ist Urs fast unsichtbar. Er ist ein guter Schütze und wird uns einen fetten Braten schießen. Nicht wahr, mein Junge?«
Urs nickte und nahm die Waffe mit leuchtenden Augen entgegen. »Vater hat recht, Mutter. Mir wird nichts passieren. Ich werde achtsam sein«, sagte er und drückte seine Mutter kurz an sich. Dann lief er über die Wiese in den nahen Wald.
»Komm, Barbli! Wir werden etwas ruhen und dann das Feuer für den Braten vorbereiten«, sagte Jaggi, um seine Frau abzulenken.
Urs schulterte die Armbrust und den Köcher mit den Pfeilen und drang tief in den Wald vor. Als vor ihm eine Sau mit mehreren Frischlingen auftauchte, ließ er sie ungehindert weiterziehen. Sein Vater hatte ihm aufgetragen, nur kleines Wild zu schießen, da sie das Fleisch nicht kühlen konnten. »Wir wollen uns nur heute sattessen, denn in drei Tagen haben wir es geschafft. Dann sind wir in Trier«, hatte er gesagt.
Urs schaute sich um und hoffte, einen Hasen oder zwei Eichhörnchen erlegen zu können, denn bald würde die Morgendämmerung einsetzen, die die beste Jagdzeit für Niederwild war. Er nahm die Armbrust von seinem Rücken nach vorn und spannte einen Pfeil ein. Um Geräusche zu vermeiden, achtete Urs auf seine Schritte und ging langsam weiter, als vor ihm ein Kaninchen hochschreckte und loslief. Er hob die Waffe, nahm das Tier ins Visier und drückte ab. Durch die Wucht des Geschosses überschlug sich das Kaninchen mehrmals. Zuckend blieb es liegen. Urs zückte sein Messer und eilte zu dem verletzten Tier.
»Ich habe dein Herz verfehlt«, entschuldigte er sich und stach zu. Danach zog er aus dem getöteten Tier den Pfeil heraus und band es an seinen Gürtel. Den Pfeil steckte er zurück in den Köcher. Urs schaute aufmerksam nach allen Seiten, um den Rückweg zu
Weitere Kostenlose Bücher