Das Phantom der Freiheit
rund um die Uhr, im Schichtbetrieb bedient von übermüdeten Ingenieuren, Programmierern und Technikern. Thornberg konnte in diesen hektischen Tagen und Wochen nicht viel Zeit für seine private Sabotage erübrigen, aber wenn er etwas tat, plante er es sorgfältig und nutzte jede Sekunde, die er allein im Archivraum verbringen konnte. Natürlich waren es Meldungen über Sam Hall – Sam Hall hier, Sam Hall dort. Aber was zählte ein Mann, und wenn er noch so übermenschliche Taten verrichtete, in einer Zeit wie dieser? Etwas anderes war vonnöten.
Verdacht!
Thornberg stand einen gespannten Moment, während ein unheimliches Prickeln durch seinen Körper ging. Der Polizeistaat war auf Mißtrauen und Verdacht gegründet. Niemand konnte einem anderen trauen. Und mit der neuen Angst vor der Psychomaskierung ...
Thornberg forderte die Dossiers von Schlüsselfiguren in Verwaltung, Militär und Polizei an. Er tat es in der Gegenwart von zwei Assistenten, denn er dachte, daß sein häufiger Aufenthalt allein im Archivraum komisch auszusehen begann.
»Die Sache ist streng geheim«, warnte er sie mit kühler Eindringlichkeit. »Wenn Sie zu Dritten darüber sprechen, wird man Ihnen bei lebendigem Leib die Haut abziehen.«
Rodney warf ihm einen schlauen Blick zu. »Ist es schon so weit gekommen, daß sie nicht mal ihren eigenen Spitzenleuten trauen?« fragte er.
»Ich habe den Auftrag, ein paar Überprüfungen vorzunehmen«, schnappte Thornberg. »Das ist alles.«
Viele Stunden lang studierte er die Unterlagen, bevor er zu einer Entscheidung kam. Alle hochgestellten Persönlichkeiten wurden mehr oder weniger häufig vom Geheimdienst observiert. Eine Rückfrage bei Matilda ergab, daß der Beamte, der den letzten Bericht über Lindahl abgefaßt hatte, in den ersten Tagen des Bürgerkrieges ums Leben gekommen war. Der Bericht war völlig harmlos: Lindahl war an dem Abend zu Haus geblieben und hatte Akten aufgearbeitet; bis auf einen Leibwächter, der in einem anderen Raum gewesen war, war er die ganze Zeit allein geblieben; niemand hatte das Haus betreten oder verlassen. Und Lindahl war stellvertretender Verteidigungsminister.
Thornberg änderte den Bericht. Ein maskierter Mann, untersetzt und dunkelhaarig, war ins Haus gegangen und hatte drei Stunden mit Lindahl konferiert. Sie hatten leise gesprochen, so daß der Beamte, der sich mit einem Abhörgerät im Garten postiert hatte, nicht feststellen konnte, was besprochen worden war. Dann war der Besucher gegangen, und Lindahl hatte sich zur Ruhe begeben. Der Beamte hatte seine Beobachtungen zu Papier gebracht und den Bericht der Nachrichtenabteilung gegeben, die ihn an Matilda weitergeleitet hatte.
Thornberg schickte die abgeänderte Speichertafel zurück ins Magazin und fingierte eine Meldung, nach der Sam Hall am gleichen Tag von einem Taxifahrer in Baltimore erkannt worden war. Baltimore war nicht weit von Washington, so daß ein Zusammenhang plausibel erscheinen mußte. Überdies wurde in Baltimore zur Zeit gekämpft, was übereifrige Ermittler daran hindern würde, den Taxifahrer ausfindig zu machen.
Er mußte zwei Tage warten, bis die nächste Anfrage über neue Erkenntnisse in der Sache Sam Hall einging. Thornberg half ein wenig nach und brachte den Computer auf Lindahl als mögliche Querverbindung. Dann ließ er den Bericht hinausgehen und fügte die höfliche Anfrage hinzu, ob er weitere Informationen in Zukunft unaufgefordert einsenden solle, wenn sie ihm relevant erschienen.
Die Antwort war zustimmend, und am nächsten Tag berichtete das Fernsehen von Umbesetzungen im Verteidigungsministerium. Lindahl verschwand in der Versenkung.
Und ich, dachte Thornberg grimmig, habe einen sehr großen Tiger beim Schwanz gepackt. Nun werden sie jeden überprüfen müssen, und ich muß zusehen, daß ich der Fahndungsabteilung immer einen Schritt voraus bin. Sie dürfen nicht zur Ruhe kommen, oder es ist aus mit mir.
Lindahl ist ein Verräter. Wie war es möglich, daß er in diese Position gekommen war? Verteidigungsminister Hoheimer hatte ihn berufen. Hoheimer war auch ziemlich eng mit Lindahl befreundet. Die Aufzeichnungsstelle muß alles Material über Hoheimer schicken!
Was ist das? Hoheimer selbst! Vor fünf Jahren, gewiß, aber trotzdem – die Unterlagen zeigen, daß er in einer Wohnanlage lebte, wo dieser Sam Hall Hausmeister war! Nehmt Hoheimer fest! Wer wird seine Stelle einnehmen? General Halliburton? Dieser verkalkte Trottel? Nun, wenigstens hat er eine
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