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Das Prachtstück

Das Prachtstück

Titel: Das Prachtstück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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dunklen, wohltätigen Schwingen. Hüllte sie ein, trug sie davon, in ein Land, in dem es keine Anforderungen an sie gab. In dem sie niemand Rechenschaft schuldig war. Es fiel ihr nicht einmal auf, wie sie ihren fernen Liebsten im Halbschlaf genannt hatte.
    Nach einer Woche begannen sich die Dinge wieder halbwegs zu normalisieren. Felis Fieber sank, Bruno und Aki versöhnten sich, und als Rosi, die Aushilfe im Calda, ihr schließlich anbot, einen Nachmittag lang auf die Kleine aufzupassen, damit sie endlich wieder ein paar Stunden für sich allein hatte, nahm Linda dankbar an. Sie kümmerte sich nicht um Graziellas Keifen, die am liebsten gesehen hätte, wenn sie augenblicklich wieder zu ihren Kochtöpfen zurückgekehrt wäre, sondern spazierte zum Ostbahnhof. Von dort fuhr sie die paar Stationen mit der S-Bahn in die Innenstadt, kaufte nicht nur für Feli den längst versprochenen »Katzenkönig Maunzenberger« als neues Vorlesefutter, sondern auch für sich einen Toskana-Reise-und-Spezialitäten-Führer. Dazu zwei dicke, opulent bebilderte Dessertkochbücher. Während sie Campari auf der Terrasse des Café Glockenspiel trank und die erste Zigarette seit langem rauchte, begann sie in den Büchern zu blättern. Rezepte, Atmosphäre, die wunderschönen Landschaftsbilder regten sie an. Am liebsten hätte sie auf der Stelle angefangen zu experimentieren.
    Neben ihr saß ein junges Pärchen, das vor lauter Schmusen kaum zum Essen kam; ab und zu warf Linda unwillkürlich sehnsuchtsvolle Blicke in diese Richtung. Das Stammeln und Flüstern intensivierte sich. Seine Finger nestelten bereits ungeduldig an ihren Blusenknöpfen. Linda konnte sich bestens an diese schwierige Zeit im Leben erinnern, wo man, erfüllt von Unsicherheit und innerem Drängen, eigentlich am liebsten alles wollte, leider aber nirgendwo so richtig ungestört zusammen sein konnte; heute aber war ihr einfach nicht nach weiser, abgeklärter Überlegenheit zumute. Früher als ursprünglich beabsichtigt stand sie wieder auf, geplagt von dieser schrecklichen Unrast, die sie seit Tagen nicht mehr loswurde, und ließ sich von dem Menschenstrom durch die Fußgängerzone treiben. In einer Parfümerie schließlich erstand sie entgegen aller Vernunft eine große Flasche Eau de Parfum.
    Sie musste grinsen, als sie wieder draußen war. Zum ersten mal seit Tagen übrigens. Bis vor kurzem hatte sie Sofie um ihren wunderbaren Escape-Duft beneidet. Jetzt hatte sie beziehungsweise ihr Unterbewusstsein sich für Eternity entschieden.
    Ein Zeichen?
    Vielleicht würde ja doch noch alles gut mit Robert werden!
    Plötzlich um vieles heiterer gestimmt, betrat sie kurz entschlossen die schicke Ladensuite eines In-Friseurs.
    Â»Tag«, sagte sie zu der Empfangsdame am Tresen, die so blasiert lächelte, als stamme sie in direkter Linie von den Royals ab. »Da bin ich!«
    Â»Zu wem bitte möchten Sie?«
    Â»Das kommt ganz darauf an. Sie beschäftigen hier ein Team von Spezialisten, nehme ich an?«
    Â»Selbstverständlich. Haben Sie einen Termin?«
    Â»Nein, aber ungeheure Lust auf Locken. Und eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie sie aussehen müssen. Wild. Weiblich. Und unwiderstehlich. Sie verstehen?«
    Ihr Gegenüber zog die dünn rasierten Brauen hoch.
    Â»Jetzt?«
    Â»Genau. Sozusagen auf der Stelle. Geht das?«
    Es ging. Ein magerer, blasser Schwarzhaariger mit mindestens zehn Kreolen in jedem Ohrläppchen und einer Menge Piercing-Schmuck im Gesicht nahm sie unter seine Fittiche, und überraschend schnell wurden sie sich einig, was zu machen war.
    Â»Ein neuer Mann?«
    Sie nickte.
    Â»Dann fallen Sie eindeutig unter Kategorie zwei.«
    Â»Wieso?« Sie überlegte gerade, ob er mit seinem martialischen Stecker durch die Unterlippe wohl ungestört Bratwurst mit Senf essen konnte. Von anderen Verrichtungen mal ganz abgesehen. Sollte sie ihn fragen? Sie entschloss sich, es lieber bleiben zu lassen. Vielleicht würde er es als zu intim empfinden.
    Â»Kategorie eins lässt sich in diesem Fall einen Kurzhaarschnitt verpassen. Kategorie zwei macht auf verführerisch. Liegt mir eindeutig mehr. Und kommt erfahrungsgemäß auch besser an. Glauben Sie mir! Ich stehe schließlich seit fünf Jahren Tag für Tag in diesem Schuppen. Da lernt man, was im Leben wichtig ist und was nicht.«
    Er hatte sanfte, äußerst

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