Das Prachtstück
hatte, schien ihre Mutter wie ausgewechselt. Keine Spur mehr von der weisen, witzigen, generösen Ratgeberin, die sich wie von Zauberhand in Luft aufgelöst zu haben schien. Plötzlich war Babette zänkisch und schwierig wie eh und je, dazu mäkelig und anspruchsvoll. Vor allem aber wollte sie alles wissen, hatte zu jedem eine Meinung und versuchte, sich ganz massiv in Lindas Leben einzumischen.
»Willst du nicht endlich wieder heim nach Gordes fahren?«, fragte Linda schlieÃlich genervt am Ende eines ellenlangen Telefonats, als sie sich der drohenden mütterlichen Invasion kaum noch zu erwehren wusste. »Leo vermisst dich bestimmt schon schrecklich. Und deine Malerei? Kommst du nicht völlig raus, wenn du so lange pausierst?«
»Nicht, solange meine einzige Tochter mich so dringend braucht. Von Kunst und den Menschen, die sie schaffen, verstehst du ohnehin nichts, das merkt man schon an deiner Frage. WeiÃt du denn nicht, dass schöpferische Pausen unabdingbar sind, wenn man den Dingen auf den Grund kommen möchte? AuÃerdem bin ich sozusagen immer im Dienst. Ganz gleichgültig, wo ich mich gerade befinde â mein unsichtbares Auge nimmt auf, hält fest, selektiert, verwirft.« Sie lachte kurz und schnippisch auf. »Besonders das letztere. Falls du weiÃt, was ich damit ausdrücken will.«
»Ach, weiÃt du, ganz blöd bin ich eigentlich nicht. AuÃerdem komme ich gut alleine klar. Wie bisher auch.«
Was nur bedingt stimmte. Feli lag seit vier Tagen mit einer fiebrigen Angina im Bett, Bruno und Aki hatten eine Krise und waren unansprechbar, und die Sache mit Sofie belastete sie sehr. Von dem Ãrger mit Graziella gar nicht zu reden, die zu Lindas Verwunderung stur auf die vereinbarte Arbeitszeit pochte und erschreckend wenig Verständnis für ihre angespannte Lage zeigte. Von wegen Italienerin mit groÃer, verständnisvoller Mamma-Seele! Signora Civitali spielte sich rigider auf als jede nur denkbare deutsche Geschäftsfrau, die ausschlieÃlich an den eigenen Geldbeutel denkt.
Aber was sollte sie tun? Sie konnte ja schlieÃlich nicht gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten sein!
Und Feli ging vor. Keine Frage.
»Komisch, dass ich einen ganz anderen Eindruck habe. Mir kommst du ungeheuer nervös und unorganisiert vor. Ziemlich panisch auÃerdem. Wo steckt es eigentlich, dein angebliches Prachtstück? Meinst du, er hat bereits genug? Nach einer einzigen Nacht? Dass du mit traumwandlerischer Sicherheit auch immer an die falschen Männer geraten musst! Von mir hast du das jedenfalls nicht. Das steht fest! Unter diesen Umständen hätte ich dir natürlich dringend von der ganzen Geschichte abgeraten. Wenn du dir dazu nicht zu schade bist, Herâ«
»WeiÃt du, wie du jetzt klingst? Originalton Marga! Und glaub bloà nicht, ich lassâ mir noch heute meine Gefühle von dir vorschreiben! Diese Zeiten sind glücklicherweise ein für allemal vorbei!«
Babette legte tief gekränkt auf. Linda empfand nicht einmal Genugtuung darüber, dass sie Siegerin nach Punkten geblieben war. Natürlich kam sie ohne jemand aus. Aber vielleicht wollte sie gerade das nach so langer Zeit gar nicht mehr. Seit Tagen wartete sie auf ein Lebenszeichen von Robert, einen kurzen Anruf, eine Erklärung. Aber nichts kam. Scheinbar hoffte und bangte sie ganz umsonst.
Eigentlich wünschte sie sich nur noch, ins Bett zu flüchten, abzutauchen und die ganze Welt zu vergessen. Robert Häusler eingeschlossen. Aber mit einem kranken, quengeligen Kind, das stundenlang vorgelesen haben wollte, einem verwöhnten Welpen, der ihr auf Tritt und Schritt folgte und seine Würstchen nach wie vor mit strategischem Geschick verteilte, und einer Chefin, die sich anscheinend vorgenommen hatte, sie nach Kräften zu pesten, war das mehr als illusorisch.
Die Warterei auf Robert machte sie verrückt. Empört. Zermürbte sie.
Wieso tust du das? Was habâ ich dir eigentlich getan? Ich streichâ dich von meiner Liste, wenn das so weitergeht, sagte sie zu sich, wenn sie hellwach und todmüde zugleich neben Feli lag, die sich weigerte, einzuschlafen, solange sie allein in ihrem Zimmer war, die seufzte, stöhnte und nach wie vor fieberheià war. Damit du es nur weiÃt. Ich bin keine, mit der man spielt. Keine von deinen weiblichen Schachfiguren, Fabian!
SchlieÃlich überkam die Müdigkeit sie doch mit
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