Das Prinzip Selbstverantwortung
abwertend gemeint ist). Viele dieser »Da-muss-etwas-geschehen«-Projekte aber täuschen Handeln nur vor; wer-grad-mal-Zeit-hat wird Projektteilnehmer. Oft gibt es nicht einmal einen Gesamtverantwortlichen, der die Projektgruppe nach außen vertritt und abschirmt; die betroffenen Linienvorgesetzten reden nach Belieben rein; Projektziel unklar; welches Problem soll überhaupt gelöst werden? Der Vorstand wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Kommt dann ein anderes als das vom Vorstand erwartete Ergebnis, soll es gar unangenehme Konsequenzen geben, dann
gibt
es Konsequenzen: die Projektgruppe wird aufgelöst. Bei echten Veränderungsprozessen bleibt die Unternehmensspitze sowieso meistens außen vor. Das Topmanagement wartet darauf, dass sich »unten« etwas bewegt. Und »Unten« wartet darauf, dass von »oben« Erlauber-Signale kommen. Und so warten denn beide. Viel muss sich ändern, damit alles beim alten bleibt. Fangt schon mal an!
David Ogilvy formulierte vor über 30 Jahren: »Gehen Sie mal durch die Parkanlagen in Ihrer Stadt, und gucken Sie sich die Statuen an. Sie werden immer nur Herrn Nelson oder Herrn Bismarck finden und niemals ein Komitee zur Erreichung von diesem oder jenem.« Zweifellos gehört den integrierten, d. h. funktionsübergreifenden Business-Teams die Zukunft. Das darf aber nicht heißen, dass die Verantwortung diffundiert. Nestlé-Chairman Helmut Maucher ist zuzustimmen: »Teams mit Spitze« statt »Teams als Spitze« – was nicht mit monologischen Bombenwurfentscheidungen vom Feldherrnhügel zu verwechseln ist.
|35| Verantwortung
»Verantwortung: Eine abnehmbare Last, die sich leicht Gott, dem Schicksal, dem Zufall oder dem Nächsten aufbürden lässt.« Mit erfrischender Frechheit bringt Ambrose Bierce die beliebte Verteidigungsstrategie auf den Begriff.
Schon die Umgangssprache unterscheidet die aktive Verantwortung, »die jemand trägt«, von der passiven Verantwortung, »zu der jemand gezogen wird«. Die erste Grundbedeutung definiert bestimmte Zuständigkeiten für Aufgaben und Funktionen, insbesondere auch für die Folgen und Nebenfolgen des Handelns. Diese
Aufgabenverantwortung
wird aktiv übernommen und eröffnet Entfaltungs- und Bewährungschancen. Das ist die helle Seite der Verantwortung.
Der zweiten Grundbedeutung, der
Rechenschaftsverantwortung
, geht eine Frage mit Anklagecharakter voraus. Sie führt den Verdacht mit sich, eine dieser Zuständigkeiten werde vernachlässigt. Zudem wird – meistens – Haftung angedroht. Das ist die dunkle Seite. Hat die Aufgabenverantwortung eine neutrale bis positive Bewertungstendenz, so steht man bei der Rechenschaftsverantwortung mit dem Rücken zur Wand. Man sieht sich vor ein Tribunal gestellt und kämpft um seinen Ruf, seine Integrität, seine Karrierechancen. Hier gibt es bestenfalls Freispruch, niemals Wertschätzung.
Hier liegt die Erklärung dafür,
warum
die Organisierte Unverantwortlichkeit so epidemisch wuchert: weil in vielen Unternehmen die sekundäre Rechenschaftsverantwortung die primäre Aufgabenverantwortung dominiert. Und weil die dem Gesamtphänomen innewohnende Anklage und Haftung Risiko bedeutet, das umso mehr gescheut wird, als viele Unternehmen ausgeprägte Verfolgerkulturen sind. Dort wird von Verantwortung oft lediglich im nachhinein, als »Kind-im-Brunnen-Debatte« gesprochen. Es herrscht eine Kultur des gehobenen Anpinkelns. »Sie haben wohl Ihre Abteilung nicht im Griff!«
Im Unternehmen hat dennoch grundsätzlich
jeder
Verantwortung. Auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen, in unterschiedlichen Aufgabenbereichen, in unterschiedlichen Funktionen. Die Übernahme einer Aufgabe ist in der Praxis ein |36| Versprechen. Wer eine Aufgabe übernimmt, verpflichtet sich unwiderruflich, das Übernommene auszuführen und sich bei Versäumnissen zur Rechenschaft ziehen zu lassen. Diese Selbstverpflichtung gilt in jedem Fall. Wollen Sie Verantwortung meiden, müssen Sie also Aufgaben bzw. die individuelle Zuschreibung einer Aufgabe meiden. (Nichts eignet sich dafür besser als Teams: Toll, ein anderer macht’s!)
Mit Otfried Höffe bedeutet Verantwortung daher zusammenfassend die »Zuständigkeit, die (1)
bei
jemandem, (2)
für
etwas, (3)
vor
oder
gegenüber
jemandem und (4)
nach Maßgabe von
gewissen Beurteilungskriterien liegt«. Da gibt es die personalisierte Verantwortung im juristischen Sinne, die funktionale Verantwortung, die politische Verantwortung, die Verantwortung im Außenverhältnis, die
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