Das Prinzip Selbstverantwortung
ersten Hauptstücks werden Ihnen voraussichtlich ausgesprochen unsympathisch sein. Ich hätte sie unterschlagen, wenn sie für die Gesamtargumentation verzichtbar gewesen wären. Sie sind es nicht. Im Gegenteil: Gerade diese Teile bilden die größte Herausforderung an den Leser. Sie erfordern den »ganzen« Leser, der bereit ist, sich selbst und seine eingeschliffenen Denkmodelle in Frage zu stellen. So kann ich nur an Sie appellieren, das Buch nicht vorschnell zur Seite zu legen. Vieles klärt und erklärt sich im Fortgang des Textes – wie ich hoffe – auf ermutigende und befreiende Weise.
Das
Pragmatische Hauptstück
bildet die drei Grundprinzipien auf führungspraktische Alltagssituationen ab. Die erkenntnisleitende |14| Frage lautet: Was kann Führung tun, um Selbstverantwortung zu fördern? Der überall geforderten Vorbildlichkeit der Führung setze ich einen Wechsel des Denkrahmens entgegen. Im Dickicht der falschen Alternativen: Vision, Vorbild, Vorgesetzter, werden die Umrisse einer perspektivischen Führungskultur erkennbar.
Perspektivisch ist dieser Entwurf insofern, als ich die Sichtweise des subjektiven Konstruktivismus für Führungsfragen praktisch mache: Wie kommen Urteile über Mitarbeiter zustande? Wie kann ich unbefriedigende Zustände verändern, ohne zu demotivieren? Darüber hinaus diskutiere ich an alltäglichen Situationen die Möglichkeit, dass Mitarbeiter in die Verantwortung gehen – führe aber gleichzeitig den Beweis, dass es unmöglich ist, Verantwortung zu »übertragen«, Mitarbeiter zu »ermächtigen«. Ich entfalte die These, dass Kritik nicht funktioniert, und biete ein alternatives Vorgehen an. Die Commitment-Mechanik für Zielvereinbarungen wird beschrieben. Den Schluss bildet ein Essay über die Fallstricke der Glaubwürdigkeit.
Der Unterschied zwischen den beiden Hauptstücken ist auch ein Unterschied der logischen Ebenen. Das lässt sich leicht an der Kernfrage des Pragmatischen Hauptstücks verdeutlichen:
Wie können wir ein Unternehmen schaffen, in dem Verantwortung
nicht länger als Last, sondern als Lust empfunden wird?
»Völlig falsche Fragestellung«, tönt es von engagierter Seite. »Die Leute wollen doch Verantwortung tragen; nur wird ihnen die Übernahme dieser Verantwortung von misstrauischen und kontrollwütigen Chefs erschwert.« Einverstanden. Also müssen wir den Blick öffnen für eine erweiterte Fragestellung: »Wie muss Führung aussehen, damit die Mitarbeiter in die Verantwortung gehen?« – »Moment mal!« ruft es nun von anderer Seite. »Die wirklich interessante Frage ist doch wohl: Warum geben Mitarbeiter die Verantwortung aus der Hand? Wieso
lassen
sie sich entmündigen?«
Ich will also in diesem Buch beschreiben, was Selbstverantwortung im Unternehmen ist und wie Führungskräfte sie fördern können. Die Gegner, auf die ich mit dem Finger zeige wie Grünewalds Täufer, sind die Ethik der sauberen Hände durch Nichtstun |15| sowie ein völlig überspannter Führungsbegriff. Im letzteren Fall möchte ich weder einem altklugen Moralismus das Wort reden noch Manager ungerechtfertigt anklagen, wie das heute allenthalben schick geworden ist. Aber vielleicht tun einige Führungskräfte doch das, wozu sie vor lauter Überlegenheit häufig nicht mehr kommen: überlegen.
Praxis
Ich bin Praktiker. Mich interessiert zwar, ob ein Gedanke stimmig ist, mehr aber noch, ob er funktioniert. Für die folgenden Überlegungen führe ich daher ein Kriterium ein, das ich »praktisch« nenne. Ich frage: »Ist es praktisch, so zu denken?« Ich frage nicht, ob die von mir vorgetragenen Argumente und Denkfiguren »richtig« sind, sondern nur ob es »nützlich« ist, einen solchen Gedanken in sich aufzunehmen.
Das Prüfkriterium ist damit freilich nur funktional bestimmt. Inhaltlich wird es, wenn ich ergänzend frage: »Stärkt ein Gedanke meine Selbstverantwortung? Oder schwächt er sie?« Argumente, die meine Selbstverantwortung stärken, sind für mich
insofern
»wahr«. Gedanken, die das Handeln verhindern, Nicht-Handeln rechtfertigen oder Unzuständigkeit aufrechterhalten, sind für mich
insofern
»falsch«. Mein Ansatz ist mithin einer pragmatischen Legitimation verpflichtet, die die Selbstverantwortung des einzelnen zum Moralkern hat.
Ich sage also hier nicht die Wahrheit. Wenn jemand die Wahrheit sagen könnte, hätte sie schon jemand gesagt, und wir bräuchten nicht weiter darüber zu sprechen. Ich möchte Standpunkte entwickeln, die im Sinne der
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