Das Prinzip Selbstverantwortung
Taubert, Henkel und Fechtner verfolgen Manager zu großen Teilen ihrer täglichen Arbeitszeit private und partikulare Abteilungsinteressen. Häufig scheint gar keine Neigung zu bestehen, unter dem Dach und zum Wohle des
ganzen
Unternehmens gemeinsam zusammenzuwirken.
Das lässt sich u. a. dadurch erklären, dass die Belohnungs- und Bestrafungssysteme massiv individualisiert sind. Oft hängt es aber |24| auch mit der schieren Größe der Unternehmen zusammen, die im Extremfall jede Überschaubarkeit und damit jedes menschengemäße Maß missen lassen. Gerade in Deutschland haben wir den Jurassic Park der Uralt-Konzerne, die Großväter-Gründungen mit ihren vom Gigantismus zementierten Traditionsbeständen. Aber wie sollen Verantwortung und Großorganisation zusammengehen? Ich behaupte: Gar nicht. Menschen arbeiten nicht in Unternehmen, sondern in Nachbarschaften. Diese Nachbarschaften werden individuell »überschaubar« definiert. Sie sind über eine gewisse Anzahl an Kollegen, symbolischen Abgrenzungen, lokalen Grenzziehungen wie Kaffee-Ecken, Flure, Mittags-Stammtische etc. sowie rituelle Abläufen abgesteckt. Aus solchen überschaubaren Einheiten erwachsen Gemeinsinn und Verantwortung. Hier definiert man sich für das Unternehmen und grenzt sich allenfalls gegen den äußeren Wettbewerber ab.
Je größer die Organisationen werden, je unüberschaubarer die Strukturen und Abläufe, desto weniger bezieht man sich auf das Ganze. Anonymität, Beziehungsverluste, Hierarchisierung zählen zu den Komplexitätskosten des think big. Um trotzdem so etwas wie Wir-Gefühl zu erzeugen, verlagert man die Grenzziehung nach innen: Die Wälle und Gräben werden nun
zwischen
den Abteilungen ausgehoben – was man alsbald mühsam über »Alle-in-einem-Boot«-Sprüche zusammenzuschweißen versucht.
Großorganisationen sind Status-quo-Organisationen. Sie brechen nur rhetorisch zu neuen Ufern auf. Und selbst wenn man das Großgebilde zerlegt und in kleine, übersichtliche Unternehmenseinheiten gliedert, werden die neuen Schnellboote rasch wieder ins Geschwader einer Holding übernommen, was unter der Hand wieder mindestens eine Hierarchieebene und zwei rivalisierende Kompetenzschnittstellen zusätzlich abwirft. Da steppt der Li-La-Laune-Bär.
In der Pyramide begraben
Wenn jemand die anstrengende Eitelkeit einer Karriere auf sich nimmt, dann sagt er in der Regel nicht, dass er mehr Macht, Status |25| oder Geld will, sondern dann will er »mehr Verantwortung übernehmen«. Woher nimmt er die? Wenn man die Lage in unseren Organisationen nüchtern betrachtet, dann steht zu befürchten: er nimmt sie seinen Mitarbeitern
weg
. Auf der nächsten Führungskräfte-Tagung stellt man sodann geschlossen fest, dass die Selbstverantwortung der Mitarbeiter dramatisch zurückgegangen ist.– Aber heißt es denn nicht immer, dass die Führungskräfte »mehr Verantwortung abgeben« sollen?
Eines vorweg, um Missverständnissen vorzubeugen: Ich glaube an die Hierarchie. Dort, wo Menschen zusammenkommen, bildet sich meiner Erfahrung nach relativ schnell und reflexhaft eine (informelle) hierarchische Struktur. Arbeitet man in Organisationen zusammen, scheint es mir mithin sowohl fair als auch praktisch (weil komplexitätsreduzierend), die Hierarchie offenzulegen. Offen gelegte Hierarchie ist wenigstens rechenschaftspflichtig. Ob sie dabei so funktional interpretiert, so tief gestaffelt und mit soviel infantilen Kinkerlitzchen ausbuchstabiert sein muss, wie das gegenwärtig noch allzu oft der Fall ist, ist eine andere Frage.
Oben die Würdenträger, in der Mitte die Bedenkenträger, unten die Wertschöpfungsträger: Die gegenwärtige Auslegung des hierarchischen Paradigmas ist allerdings auf manchmal geradezu lächerliche Weise unzeitgemäß. Sie geht von der Annahme aus, dass die Mitarbeiter weder willens noch fähig sind, ihre eigene Arbeit selbst zu organisieren und zu kontrollieren. Dass sie weder entscheiden wollen noch können. Die heimliche Botschaft an Führungskräfte: »Misstraue der Eigensteuerung Deiner Mitarbeiter, denn Du trägst ja die Verantwortung.« Selbstverantwortung des Mitarbeiters? In der Pyramide begraben.
So halten sich vielfach archaische Führungsstrukturen aus dem kapitalistischen Neolithikum, die ehedem ungebildete Leute in einer nur langsam sich wandelnden Umgebung anweisen, motivieren und kontrollieren. Wie Fossile ragen die hierarchischformalen Gehäuse der Arbeitsorganisation aus fernen erdgeschichtlichen Formationen
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