Das Prinzip Selbstverantwortung
Gewitterfront der Larmoyanz ein zusätzliches Epizentrum im Osten herbeikolonisiert: »Jetzt soll ich den ganzen Tag Initiative zeigen, wo man mir 40 Jahre lang gesagt hat: Wenn Du Dich bei uns aus dem Fenster lehnst, kriegst Du Ärger.« Einige verklären hier eine Vergangenheit, ohne fürchten zu müssen, dass sie wiederkehrt.
Wanderpokal Verantwortung
Grundsätzlich besteht über das, was Verantwortung im Unternehmen heißt, weithin Unklarheit. Entsprechend kreist und pendelt die Verantwortung: Mal hat sie der Mitarbeiter, mal der Chef, mal die da oben, mal die anderen, mal haben sie alle.
Diese Unsicherheit zeigt sich im Verhalten aller Beteiligten: Man schwankt zwischen Vorwurf und Mitleid, zwischen Besorgnis und ärgerlicher Forderung, zwischen Empörung und schlechtem |20| Gewissen. Es verwirren sich die Zuständigkeiten, es ist unklar, wer wofür
eigentlich
verantwortlich ist, alle reden bei allem mit, das Management nimmt seinen Störungsauftrag bitter ernst, kaum ein Brunnen, in den nicht gespuckt wird, Ein- und Ausmischungen, wohin man schaut – berechtigt? Unberechtigt?
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|20| Sinnfällig wird diese Wirrnis an Themen, mit denen sich Vorstände beschäftigen. Das Verhängnis von Topmanagern ist nicht, dass sie sich zu weit vom Volk entfernen, sondern dass sie sich nicht weit genug von ihm entfernen. Es ist kaum zu glauben, wie viele Vorstände sich oft höchstpersönlich noch um die nebensächlichsten Details kümmern: etwa nach Dienstschluss mit dem dicken Schlüsselbund durch die Räume gehen und überall das Licht ausmachen; schauen, ob die Zahl der Topfpflanzen in den Büros der Abteilungsdirektoren auch den Richtlinien entspricht; diskutieren, ob das Seminar nun im Hotel X oder Y durchgeführt werden soll. Dazu noch: »Ich werde das Gefühl nicht los, außer mir arbeitet hier niemand.« Ich habe von einem Vorstand gehört, der eine Stunde lang über die Spülfrequenz der Urinale im Werk diskutierte. Beispielhafte Auftritte für Liza Minellis These, dass Leben ein Kabarett sei.
Nicht mehr zum Totlachen ist die Tatsache, dass für langfristige Konsequenzen immer weniger Verantwortung übernommen wird. Die von den Kapitalmärkten ferngesteuerte Gewaltherrschaft der kurzen Fristen führt in den Unternehmen zu einer aufreibenden Hü-und-Hott-Politik, die blind ist für die Spät- und Nebenfolgen. Nach uns die Sintflut! Der kultivierte Zynismus der Shareholder-Value-Fetischisten untergräbt jede stabile Beziehung, jede Idee eines zur langfristigen Verantwortung fähigen Unternehmens. Wer denkt noch an Walther Rathenau, Vorstand der AEG und später Reichsaußenminister, der ein von der Gewinnmaximierung und den Zielen der Anteilseigner emanzipiertes »Prinzip der inneren Verantwortung« für die Unternehmen entwickelte und in das Körperschaftsteuergesetz einfließen ließ?
Hinzu kommt, dass kaum ein Manager in unseren Unternehmen genug Spielraum und Zeit hat, allein für seine Ära verantwortlich zu sein. Und weil Manager wegen häufiger Versetzung |21| nicht einmal so lange in ihren Zuständigkeiten bleiben, bis ihre Entscheidungen Folgen zeigen, gibt es oft keine direkte Verantwortung für Resultate. Bei Lever Europe waren 1993 knapp 42 Prozent aller Führungskräfte kürzer als 12 Monate on the job. Manager, die eine so kurze Amtsdauer erwarten, sind kaum an langfristigen Problemlösungen interessiert. Sie übernehmen für ihre Aufgabe und ihre Mitarbeiter keine dauerhafte Verpflichtung. Und weil die Mitarbeiter dies wissen, verpflichten sie sich ebenfalls nicht: »Den überleben wir auch noch.«
Diese Situation in unseren Unternehmen wird wohl am besten umschrieben durch ein Wort, das Ulrich Beck für einen anderen Zusammenhang prägte: Organisierte Unverantwortlichkeit. In Abteilungen, die sich abteilen, knechten Untergebene, die unten geben, sitzen Sachbearbeiter, die Sachen bearbeiten, unter Vorgesetzten, die vorgesetzt werden und vorsitzen.
Betrachten wir einige dieser Strukturen näher.
Nicht zuständig!
Thomas Schalberger, PR-Manager aus Düsseldorf, hat es diesmal besonders eilig. Zehn vor zwölf zeigt die Uhr in der Wandelhalle des Kölner Hauptbahnhofs, der nächste Termin drängt. »Eine Karte zweiter Klasse nach Düsseldorf« erbittet er von der Dame am Bahnschalter. »Intercity oder D-Zug?« lautet die Antwort. »Weiß ich nicht, den nächsten Zug eben«, sagt Schalberger, »das können Sie doch nachschauen.« – »Ich bin hier nicht der Informationsschalter«, entgegnet die
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