Das Prinzip Selbstverantwortung
raufen oder alles in die Ecke werfen soll.
Double-Bind
Gregory Bateson prägte den Begriff des »Double-Bind«. Kurz gefasst charakterisierte er damit das Phänomen zweier sich gegenseitig ausschließender Botschaften, die der Empfänger nicht beide ausführen kann. Es entsteht dabei die paradoxe Situation, dass man der Botschaft folgt, wenn man ihr nicht folgt. Genau das erleben viele Menschen in unseren Organisationen: Man hat immer das Gefühl, nicht das Richtige zu tun. »Was man macht, macht man falsch.«
|224| Dabei spreche ich im Folgenden nur sehr bedingt von den Polaritäten, die Oswald Neuberger als »Dilemmata der Führung« klarsichtig beschrieben hat. Es gibt nahezu immer verschiedene, gut begründungsfähige Leitprinzipien, die untereinander konkurrieren und deshalb gegeneinander abzuwägen sind. Zum Beispiel zwischen »Mitarbeiter-Orientierung« und »Aufgaben-Orientierung«. Alltäglich, unvermeidbar, nichts Besonderes also.
Mein Interesse gilt hier vor allem Unternehmensbotschaften, die sich gegenseitig ausschließen. Meine These ist, dass viele Unternehmen sich in eine kommunikative Ausweglosigkeit hineinmanövriert haben. Sie haben eine
Krise der Botschaften
erzeugt, die allzu häufig ein Arbeitsklima der gedämpften Resignation, schlimmerenfalls Rückzug, Demotivation angesichts unerträglicher Dissonanzen schafft. Eine Krise der Glaubwürdigkeit. Vor allem die vielgeübte Praxis, per Bombenwurfstrategie eine Unternehmenskultur dekretorisch gleichsam über Nacht zu erlassen, erzeugt ausweglose Doppelbindungen. Betrachten wir einige aus der Nähe.
Unternehmer ohne Risiko
In der Geschäftsstelle eines großen Geldinstitutes wurden einige Kreditsachbearbeiter entlassen, weil sie ihren Kreditrahmen überschritten hatten. Gleichzeitig aber forderten die neuen Unternehmensleitlinien unternehmerisches Denken: »Riskieren Sie etwas!« Die Reaktion der Mitarbeiter: Absicherung nach allen Seiten. Für diese Absicherung benötigten sie aber mehr Zeit; die Arbeitszeit reichte bald nicht mehr aus. Sie produzierten weniger; ausfallgefährdete Engagements wurden überhaupt nicht mehr angenommen … was den Ruf nach mehr Risikobereitschaft von der Unternehmensspitze weiter steigerte.
»Unsere Mitarbeiter denken und handeln als Unternehmer.« So steht es auch in den Leitlinien eines großen deutschen Unternehmens der Baustoffindustrie zu lesen. Gerade aber dieses Unternehmen hat eine extrem hohe Vorschriftendichte. Mehr noch: Die wichtigste Eintragung in das heimliche Firmen-Drehbuch lautet: |225| »Wehe dir, du machst einen Fehler!« Fallbeispiele, in denen ein Fehler dem Karriereende gleichkam, werden haufenweise kolportiert. Im Erleben der Mitarbeiter überwiegt diese Seite: Bei Fehlern wird gnadenlos Konsequenz gezogen. Die Auswirkungen sind klar: Die Mitarbeiter sind irritiert von der Doppelbotschaft, ja Triplebotschaft »Handle unternehmerisch!« und »Beachte die Richtlinien!« und »Vermeide Fehler um jeden Preis!«.
Völlig grotesk wird es, wenn dann die Führungskräfte klagen, dass ihre Mitarbeiter die Entscheidungsfreiräume für unternehmerisches Handeln gar nicht ausnutzten. Sie würden sich ständig absichern, ließen sich alles abzeichnen, wären nicht bereit, Risiko zu tragen.
Aber darf das wundern? Es liegt doch auf der Hand, dass eine fehlerintolerante Unternehmenskultur Opportunismus, Anpassertum und Unverantwortlichkeit erzeugt. Tom Peters ist in diesem Punkte zuzustimmen: »Nichts ist widersprüchlicher als ein konservativer Konzernchef, der von seinen Mitarbeitern Mut und Risiko zum Experimentieren verlangt.«
Es ist in der Tat schon einigermaßen grotesk zu sehen, dass man auf der einen Seite in Zeiten des Turbo-Managements eine High-Trust-Culture |226| mit hoher Handlungsgeschwindigkeit und entsprechender Risikobereitschaft will, während andererseits Null-Fehler-Kampagnen über die Köpfe der Mitarbeiter donnern. Einerseits wird vom lernenden Unternehmen geträumt, während ein gescheitertes Projekt den unausgesprochenen hard fact des Karrierestopps nach sich zieht. Einerseits stöhnt man über den Innovations- und Kreativitätsvorsprung der Japaner, andererseits verdorrt jedwede Initiative unter dem Richtlinien-Wildwuchs. Einerseits. Andererseits. Das ist sie, die innewohnende Struktur des Double-Bind: das Zwielicht des Unentschiedenen, des ewigen Sowohl-als-auch. Wer hier nicht manchmal den Verstand verliert, hat keinen zu verlieren.
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|226| Konkurrente
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