Das Prinzip Selbstverantwortung
nicht auch noch ohne Not künstlich anheizen. Denn es ist nicht nur zum Totlachen, wenn eine strukturell angelegte Unmöglichkeit durch Appelle an die Flexibilität oder Belastbarkeit des einzelnen weg-individualisiert wird: So wenn man einerseits die allseits erhobene Verpflichtung, »kommunikatives Verhalten« unter Beweis zu stellen, erhebt; andererseits die allgegenwärtige Nötigung zur Geheimnistuerei, zur dosierten Information (»Man kann dem Volk nicht zu viel zumuten«), die taktische Kommunikation unterhalb einer gewissen Führungsebene erlebte Alltagspraxis ist. Häufig kommt noch das Gefühle hinzu, selber von wesentlichen Kommunikationslinien im Unternehmen gänzlich abgeschnitten zu sein.
Und es ist alles andere als komisch, wenn die Teamprämie an Erz-Abbaumeter gekoppelt ist, geradezu nötigend aber das Lied von der »Arbeitssicherheit als Führungsaufgabe« vorgesungen |229| wird. Es ist auch nicht nur lustig, dass lediglich solche Verbesserungsvorschläge prämienberechtigt sind, die zum Pflichtenkreis meines Kollegen gehören. Entweder ich bleibe in meinem Bereich, dann gehört der Verbesserungsvorschlag zum Selbstverständlichen und wird nicht prämiert. Oder ich überschreite meine Zuständigkeitsgrenze (weil nur so die Prämienvoraussetzung erfüllt ist), dann wildere ich im Bereich meines Teamkollegen, Nachbarn, Partners oder Chefs, bekomme aber meine Prämie und mache den anderen mit mechanischer Konsequenz zum Verlierer: »Tja, nicht aufgepasst, Herr Kollege!« Und das ist derselbe Kollege, mit dem ich in der Projektgruppe »Qualität 100« partnerschaftlich zusammenarbeiten soll.
Führungskräfte und Mitarbeiter erleben diese Situation als hektisch, überfordernd, zerrissen. Sie spüren, dass sie den widersprüchlichen Forderungen nicht gerecht werden können. Und sie rechnen sich dies häufig als persönliches Versagen an. Fälschlicherweise. Die Lösung ist strukturell gar nicht möglich. Man muss auf diesen Boden kommen, um zu erfahren, dass er doppelt ist.
Kundenorientiert – umsatzorientiert
Ein Dauerspagat ist schmerzhaft. Das wird besonders sinnfällig, wenn man einen Blick in die Didaktik der Verkaufstrainings wirft. Dort hat man sich sehr weitgehend von der Drückermentalität vergangener Zeiten gelöst und trainiert nun unter hohem medialen Aufwand Kunden-»Beratung«, langfristige Kunden-»Bindung« und eine saubere Bedürfnisanalyse in der Verkaufsgesprächsführung. Anschließend wird der Verkäufer mit dem »verbonifizierten« Auftrag ins Feld geschickt, um soundso viel Stückzahlen vom Produkt X in den Markt zu drücken. Und das tut er natürlich auch, weil man große Teile seines variablen Einkommens daran gekoppelt hat. Der uraltbekannte Leitgedanke: »Der Schein bestimmt das Bewusstsein.«
Zudem ist die Frage nach dem »Wie« des Verkaufens in nicht wenigen Unternehmen offenbar streng konjunkturabhängig: »kundenorientiert« in guten Zeiten. »Umsatzorientiert« in schlechten |230| Zeiten. Mal geht es um Qualität, ist der Verkäufer »Berater«, »Vertrauenperson« des Kunden und intimer Kenner der Innenverhältnisse. Mal soll er wieder »überreden«, die Produkte »losschlagen«, »das Zeug unter die Leute bringen«. Oft haben wir beides gleichzeitig: »Total Customer Satisfaction« auf der einen Seite, »Abschluss, egal wie!« auf der anderen.
Gerade in Konjunkturtälern wird dem Verkäufer immer wieder (heimlich) zugerufen: »Sei manipulativ!« »Nach außen«, müssen wir ergänzen. Denn paradoxerweise heißt die Gegen-Botschaft: »Sei ehrlich nach innen!« Das Vokabular der Kriegsführung nach außen – das Vokabular friedlichen Miteinanders nach innen. Rechtsherum! Linksherum! Es kann einem schon schwindelig werden. Und anschließend ist den Empörung groß, wenn Verkäufer den Spieß umdrehen und die Manipulation nach innen wenden. High Trust Culture!
An dem Verkäufer-Beispiel lässt sich die Struktur der Doppelbindung exemplarisch verdeutlichen. Es wird (in guten Zeiten) so getan, als seien »Kundenorientierung« und »Umsatzorientierung«
gleichrangige
Werte. Das sind sie aber in der Regel keineswegs. Nur wenn die Kundenorientierung
nicht
der Umsatzorientierung zuwiderläuft, bleibt sie gültiges Ziel. Nicht in jedem Fall aber sind Kunden- und Umsatzorientierung vereinbar. Die Umsatzorientierung
umfasst
gleichsam die Kundenorientierung.
Wenn beide in eine
logisch hierarchische Beziehung
gesetzt werden (etwa: Kundenorientierung ist Mittel zum Zweck der
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