Das Prinzip Terz
zwischen den Blättern, arbeiteten sich langsam hoch. So verabschiedeten die Inder ihre Toten. Warum stecken wir die unseren in die Erde, wenn sie in den Himmel wollen?
Auf dem Weg zum Auto verwischte Terz die restlichen Fußabdrücke. Am Waldrand montierte er die Lumpen von den Reifen, steckte sie in die bereitliegende Tüte und warf diese in den Kofferraum. Als er losfuhr, sah er im Rückspiegel eine dünne Rauchsäule aus dem Wald hochsteigen. Durch das offene Fenster zog Frischluft in den Wagen. Es war halb eins.
Das Haus am Stadtrand von Ahrensburg hatte sein Vater ein paar Jahre vor seinem Verschwinden gebaut. Die Flachdach-Villa aus den siebziger Jahren war durch Bäume und eine hohe Hecke vor Einsicht geschützt. Terz stellte den Range Rover vor der Garage ab. Die Post seiner Mutter deponierte er auf dem Wohnzimmertisch. Zu Hause war immer der Ort gewesen, wo es roch wie auf einer taufrischen Sommerwiese, der Lieblingsduft seiner Mutter.
Das Fass lud er im Garten ab und spritzte es mit dem Schlauch aus. Im Abstellraum zwischen Garage und Wohnbereich fand er das chlorhaltige Reinigungsmittel seiner Mutter. Er sprühte reichlich von der stechend riechenden Flüssigkeit gegen die Innenseite des Fasses und begann mit Gummihandschuhen bewaffnet zu schrubben. Als Nächstes kam die Außenseite dran.
Während das Fass trocknete, klebte er die Ladefläche des Wagens komplett mit Spurensicherungsbändern ab, die auch den kleinsten Krümel aufnahmen. Mit einem breiten Pinsel trug er Wasserschutzbeize auf die Innenseite des Fasses auf, dann lud er es in den Wagen. Kein Polizeihund würde unter den scharfen Dämpfen je die Witterung eines Toten aufnehmen können.
Die Rückfahrt blieb ohne weitere Aufregung.
Jeder hat eine dunkle Seite, hatte Kantusse bei Gelegenheit erklärt. Wer sie zu heftig spürt, wird Polizist. Um sicherzugehen, dass sie ihn nicht übermannt.
Stammtischpsychologie, erwiderte Terz. Für intellektuelle Spießer.
Das Spießerargument schlechthin: den anderen Spießer nennen, hatte Kantusse erwidert. Projektion nennt man das. Und unbeirrt fortgesetzt: Ihr seid eine Seite der Münze. Und jeder kann sie umdrehen. Nur eine Frage der Umstände.
Das ist es immer.
Ja, sagte Kantusse und leerte die Whiskyflasche. Sein Schatten.
Vielleicht ist es keine Münze, hatte Terz angeregt. Sondern eine Kugel. Ohne Seiten.
Ich weiß nicht, ob du den richtigen Beruf hast, war Kantusses Antwort gewesen.
Schwarz. Weiß. Und viele Graustufen, gab Terz zurück.
Du kommst über Banalitäten nicht hinaus, was? Kantusse neigte zu persönlichen Beleidigungen. Die Gesellschaft zwingt uns zur Grenzziehung irgendwo im Grau. Schuldig. Unschuldig. Ich möchte diese Diskussion beenden. Sie führt zu nichts. Mit diesen Worten hatte er die nächste Whiskyflasche geöffnet. Danach hatten sie gestritten und zwei Monate kein Wort miteinander gesprochen.
In Müllcontainern am Stadtrand entsorgte er die Lumpen, mit denen er die Reifen umwickelt hatte, und die Klebebänder. Sein nächstes Ziel war eine Autowaschanlage. Bevor er nach Hause fuhr, rief er an. Niemand meldete sich, Juliette und die Kinder waren schon weg.
Kurz vor drei Uhr kam er an. Er hatte das Fass bereits vor dem Lift abgestellt, als der alte Nazi Kranewitz mit seinem Schäferhund die Stufen herabkam. Wie üblich steckten in den schlappen Ohren des Tieres stützende Kartonecken, um die Form wenigstens vorzutäuschen, die sich für die Lauscher eines rechten teutschen Wolfshundes gehörte. Es gab bessere Situationen um aufzufallen, doch Terz konnte der Versuchung nicht widerstehen.
»Ihr Hund hat da was in den Ohren.«
Kranewitz erstarrte, als Terz die Pappecken aus Hermanns Ohren zog. Als die Spitzen fröhlich schlappmachten, kam der Lift, Terz schob das Fass hinein und hörte durch das Klappern der Tür Kranewitz fluchen: »Vor sechzig Jahren …«
Auf der Fahrt ins Dachgeschoss spielte er mit den Kartonecken, im Kopf den Gesichtsausdruck von Kranewitz, als die potemkinschen Spitzohren seines Hundes einknickten! Als ob man ihm die Würde nahm, indem man dem Hund seine zurückgab.
Das Fass stellte Terz zurück an seinen Platz auf der Terrasse. Zufrieden sah er sich um. Durch welches Fenster er jetzt wohl belauert wurde?
In Hamburg weht der Wind meist aus Westen.
Wie in Großstädten der Welt üblich, sinken Lebensstandard und Interesse der Verantwortlichen mit der Windrichtung. Einst trieb die Angst vor Kloakengestank und Pesthauch die Wohlhabenden an die
Weitere Kostenlose Bücher