Das Prinzip Terz
streben, während er sich konzentrierte. Unter dem Tisch standen die Beine gespreizt, die Zehen nach außen gerichtet. Ramscheidt hatte große Füße, die in unvorteilhaften rostbraunen Entenschnabelschuhen steckten. Manchmal wippte er mit dem rechten, als wolle er den Takt der Finger beschleunigen. Über dem Gürtel zeichnete sich der Ansatz eines Bäuchleins im blauen Hemd ab.
Wort für Wort sprach er mit.
»Liebe Kollegen,
es tut mir Leid. Aber es ist alles vorbei. Gestern wurde ich vom Dienst suspendiert. Die Zeitungsberichte haben den Anfang gemacht, jetzt kommt alles an den Tag. Meine Frau hatte eine Affäre mit dem Pornodarsteller Fredo Tönnesen, die ich nicht ertrug. Ich hoffte, dass sein Tod unsere Ehe retten würde. Als sein Liebhaber Winfried Sorius Verdacht schöpfte, musste ich ihn auch töten.«
Ramscheidt kannte die intimsten Details der Ermittlungen. Der karrieregeile Staatsanwalt Finnen hatte offensichtlich alle Akten an Söberg weitergegeben. Und der an Ramscheidt.
Auf dessen Stirn kleine Schweißperlen standen.
Bis jetzt hatte er kein einziges Mal zu Terz hinabgesehen.
»Dummerweise hatte mich Ansgar Biel dabei beobachtet. Also musste auch er sterben. Gernot Sandel war sein Freund und Komplize. Ich hoffte, den Verdacht auf Amelie Kantau lenken zu können. Doch nach den Veröffentlichungen in der Presse ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis die Wahrheit ans Licht kommt.«
»Würdest du am Ende eines solchen Briefes schreiben: Gott vergebe mir?«
Interessante Frage. »Nein. Ich würde so einen Brief nie schreiben.«
»Wie unhöflich.« Er tippte und murmelte. »Gott. Ver– ge– be … mir. So!«
Terz wiederholte die letzten Zeilen gedanklich. Obwohl er beim ersten Mal ihren Sinn begriffen hatte.
Seine Gefühlsverpuppung war geplatzt. Sein Inneres war ein Wirbelsturm. Die schlimmsten Vermutungen bestätigten sich. Lebte Elena überhaupt noch? Der Gedanke klappte ihm die Luftröhre zu, sog alles Blut aus dem Kopf. Er musste die Augen schließen. Die Bilder hinter den Lidern zwangen ihn, sie sofort wieder zu öffnen.
Ramscheidt gab den Druckbefehl.
Schwer atmend kämpfte Terz um Selbstbeherrschung. Vor seinem inneren Auge setzte er Ramscheidts und Scaffos und Wittpohls Gesichter in die schlimmsten Folterbilder aus Büchern und Fernsehen, die ihm einfielen. Bilder von Amnesty, von der Inquisition. Unrecht, blitzte ein Gedankenfunke dazwischen. Er wurde von seinem Hass weggespült.
Ramscheidt behielt ihn genau im Auge, als er das Blatt aus dem Drucker holte.
»Ist doch ein viel besserer Plan, so«, sagte er. »Deine Kollegen bekommen einen Täter. Und es gibt keinen mehr, der über unsere Geschäfte plaudern kann.«
»Ich finde den Plan nicht gut.«
Ramscheidt lachte nur höhnisch.
»Ich würde diesen Brief doch nie so schreiben«, beharrte Terz. »Außerdem war Tönnesen schwul.«
»Man wird ihn schon glauben, wenn man ihn bei deiner Leiche findet.«
»Aber meine Frau hatte nie ein Verhältnis mit Tönnesen.«
»Das Gegenteil wird sie nicht mehr beweisen können.«
Die Türglocke riss sie aus ihrem Geplänkel. Ramscheidt fuhr hoch. »Wer ist das?«
»Der Bote wahrscheinlich.«
»Du gehst vor.«
An der Wohnungstür wartete ein verschwitzter Junge in einem bunten Trikot. Unter den Rastalocken war sein Gesicht kaum zu erkennen. Er roch nach Schweiß. »Von der Kanzlei Borders & Fest. Ist schon bezahlt.«
Terz übernahm das Paket und schloss die Tür. Er hörte die klackenden Schritte der Fahrradschuhe auf dem Weg zum Lift, während Ramscheidt ihm die Unterlagen entriss.
Terz war sicher, dass Fest noch eine Kopie davon angefertigt hatte. Aber das sagte er natürlich nicht. Der Deckel über dieser Geschichte war geöffnet. Und kein Aktionismus Wittpohls konnte ihn mehr schließen.
Ramscheidt war fertig mit Lesen. Die beiden aufgefetzten Umschläge rollte er zusammen und steckte sie in seine Jackentasche.
»Gehen wir.«
Vor dem Haus blendete die Sonne. Terz hielt an. Schnell suchte sein Blick die Straße ab. Wo waren Fodl, Lund, Perrell, ihre Leute und Sammis Beschatter? Mittlerweile musste eine ganze Kohorte einsatzbereit sein.
»Weiter!«, zischte Ramscheidt.
Der Range Rover stand ein paar Meter entfernt unter einem Baum. Widerstandslos ließ Terz sich hinbringen. »Du fährst.«
Ramscheidt stieg zu ihm. Scaffo saß wieder auf der Rückbank.
»Zum Volkspark«, forderte Ramscheidt.
Ein paar Straßen weiter klingelte Terz’ Mobiltelefon. Ein Blick von Ramscheidt
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