Das Prinzip Terz
Zivil, mit dem auch er selbst schon gefahren war.
»Wer noch?«
»Neun Leute. Fachleute für Finanzfragen. Sie waren alle dabei. Sie wissen alle Bescheid. Und wer weiß, wem sie inzwischen davon erzählt haben.«
Ramscheidt suchte im Rückspiegel Scaffos Blick. Hoffentlich hielten Fodl und die Kollegen genug Abstand.
»Ich kenne sie nicht einmal genau.« Tatsächlich hatte er ein paar Namen der nächtlichen Buchprüfertruppe schon wieder vergessen.
»Du bluffst doch.«
»Wenn Sie meinen.«
»Die Namen sagst du uns schon noch. Wie seid ihr überhaupt in die Agentur gekommen? Irgendwer hat euch doch reingelassen. Lass mich raten. Die Hansen.«
Ramscheidt war flott unterwegs. Sie hatten die Autobahn überquert und ordneten sich ein zum Linksabbiegen in den Bornkampsweg. Ein Mobiltelefon spielte Wagners Walkürenritt, grauenhaft elektronisch entstellt. Ramscheidt zog ein Gerät aus der Innentasche seines Sakkos und meldete sich. Er teilte seinem Gesprächspartner mit, dass sie unterwegs zum Holstenkamp waren. Ein Treffpunkt wurde vereinbart.
Sie bogen ab, wo sich lange Zeit eines der besten Restaurants Hamburgs versteckt hatte. Im »Tafelhaus« hatte Terz lukullische Abende verbracht. Mittlerweile war das Lokal auch an die Elbe gezogen.
Kurz vor der Kieler Straße bogen sie zweimal rechts ab. Gesichtslose Büro- und Industriebauten lagen hinter großen Parkplätzen und Rasenstücken. Ramscheidt parkte das Auto in der unbelebten Kleinen Bahnstraße hinter einem weißen Lieferwagen.
Er zog wieder sein Handy aus dem Sakko und wählte. Gleichzeitig fragte er Terz: »Wer weiß also noch davon?«
Terz fühlte sich sicher. Seine zwei Entführer ahnten nicht, dass Polizei und Medien hinter ihnen her waren. Er musste das Spiel nur gut weiterspielen. »Warum sollte ich das sagen?«
Ramscheidt befahl ins Telefon. »Aufmachen.«
Vor ihnen öffneten sich die Hintertüren des Lieferwagens. Zwei Männer mit Wollmasken schlugen die beiden Flügel zur Seite. Sie trugen halbautomatische Waffen über der Schulter. Mit ihren freien Händen zogen sie eine Gestalt aus dem Dämmerlicht des fensterlosen Innenraums.
Terz wollte aufspringen, doch Scaffos Pranken hielten seine Hände hinter dem Sitz fest. Alle Versuche sich loszureißen scheiterten.
Die Vermummten schoben ihre Gefangene zurück und schlossen die Türen wieder.
Aus der Düsternis des Laderaums hatten ihn Elenas angstgeweitete Augen angefleht.
Arglos leuchteten die weißen Hecktüren des Kleinlasters. Die Szene dahinter schien nie geschehen, war verschwunden.
Aus Scaffos Betongriff konnte er sich nicht befreien.
Er und sein verdammter Plan.
Mit allem hatte er gerechnet. Dass sie auf sein Angebot einsteigen würden, Amelie Kantau als Täterin zu inszenieren. Dass sie es in Wahrheit auf ihn abgesehen hatten. Dass sie versuchen würden, ihn umzubringen. Dass ihre zahlreichen Beschatter in diesem Moment eingriffen. Womit der Beweis erbracht wäre, dass Terz in der ganzen Angelegenheit Opfer und nicht Täter war. Ein riskanter Plan, gewiss. Aber er hätte funktioniert.
Solche Skrupellosigkeit hatte er nicht erwartet. Eine Unbeteiligte mit hineinzuziehen.
Tönnesen. Sorius. Vielleicht noch andere. Sie waren schon mehrmals über die Grenze gegangen. Öfter als er. Machte es irgendwann keinen Unterschied mehr?
Nach dem ersten Mal? Davor?
»Ihr seid verrückt«, stöhnte Terz. »Sie hat doch nichts damit zu tun.«
»Wir müssen doch annehmen, dass du mit deiner Frau sprichst.«
»Sie weiß nichts!«
»Wir gehen lieber auf Nummer sicher.«
»Ihr lasst sofort meine Frau frei. Oder ich sage nichts mehr.«
»Mach es nicht auch noch schmerzhaft. Für dich. Und Elena.«
Bei dem Gedanken, dass sie Elena Leid antun könnten, begann Terz fast zu rasen. Selbst wenn Elena von nichts gewusst hätte. Jetzt mussten sie seine Frau ebenfalls töten. In seinem Hals schwoll eine Kröte und drohte ihn zu ersticken.
Ramscheidt ließ den Motor an und wendete. Am Eingang der Großen Bahnstraße zum Holstenkamp entdeckte Terz den blassgrünen Golf. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte der graue Passat. Beide Autos waren leer. Oder ihre Insassen hatten sich versteckt. Zwei weitere unbemannte Wagen standen herum. Terz konnte sich nicht erinnern, ob sie vorher schon da gewesen waren.
Der Druck in Terz’ Hals klang ab. Fodl, Lund, Perrell, sie mussten alles gesehen haben. Sie würden Elena da rausholen.
Und dann stand auf einmal dieser Glassturz über seinen Empfindungen.
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