Das Prinzip Terz
den Trampelpfad um eine Kurve.
Im Schatten der Bäume leuchtete der weiße Lieferwagen.
Seine Kollegen hatten also nichts erreicht. War ihnen der Zwischenfall in der Kleinen Bahnstraße gar entgangen? Wenn nicht, lauerte im Unterholz bereits eine Hundertschaft. Falls doch, war Elena mit ihren Entführern allein. Wieder verfluchte er sich, die Skrupellosigkeit seiner Gegner unterschätzt zu haben. Wenn Elena etwa zustieß … Er konnte nicht weiter darüber nachdenken. Er musste sich darauf konzentrieren, sie unbeschadet aus der Geschichte zu befreien.
Terz musste den Range Rover neben dem Lieferwagen abstellen. Scaffo öffnete die Tür und beobachtete ihn aufmerksam beim Aussteigen.
»Wo ist Elena?«
»Wartet schon.« Ramscheidt schob Terz mit einer Pistole im Rücken ins Unterholz. »Schnell jetzt. Hier entlang.«
Terz schob kratzende Zweige zur Seite.
»Ihr spinnt doch! Hier in aller Öffentlichkeit?«
Wo war Fodl? Wo waren die Einsatzkräfte? Kein guter Ort für unbemerktes Anpirschen eines Einsatzteams.
»Bei dir zu Hause sind wir vielleicht aufgefallen. Irgendein versteckter Ort wäre zu auffällig. Ihr wart spazieren, da hast du deiner Frau alles gestanden. Und euch dann umgebracht.«
In einiger Entfernung hörte Terz einen Wagen vorbeifahren. Weit weg heulte ein Martinshorn. Die Büsche rissen an seinen Händen und schlugen ihm ins Gesicht. Die Vögel ließen sich in ihrem Gesang nicht von den drei Gestalten irritieren. Scaffo packte Terz’ linken Arm und drehte ihn schmerzhaft auf den Rücken. Sie entfernten sich immer weiter vom Weg. Hier kam kein zufälliger Jogger oder Spaziergänger vorbei. Im Unterholz neben einem großen Baum befahl Ramscheidt: »Stopp!«
Zwischen den beiden vermummten Kidnappern verschwand Elena fast. Sie war bleich und verschwitzt.
Terz brach das Herz.
»Konrad! Was soll das alles! Was ist –«
»Klappe!«, befahl ein Bewacher.
Elenas Lippen zitterten.
Der verdrehte Arm brannte bis in die Schulter. Terz konnte nur tatenlos zusehen. Die Ohnmacht höhlte ihn völlig aus. Als ob es ihn nicht mehr gäbe. Nur eine dünne Hülle, die gleich zusammenfallen würde. »Es tut mir so Leid«, stammelte er.
Im nächsten Augenblick kehrte seine Fassung zurück.
»Vorwärts jetzt«, befahl Ramscheidt. »Schlag zu. Wie du es bei Biel getan hast.«
»Das war ich nicht!«
»Ist jetzt auch egal. Aber es wird so aussehen.«
Ramscheidt drängte Terz bis auf Armeslänge vor seine Frau. Ihre roten Augen schwammen, Wimperntusche zerlief auf ihren Wangen. Sie atmete in kurzen Stößen.
»Konrad …«
»Schlag zu«, zischte Ramscheidt. »Du weißt ja, wie es geht.«
Terz schoss das Wasser in die Augen. »Ich habe keine Ahnung!«, brüllte er. Wo waren Fodl, Lund, Perrell?!
»Tja. Plötzlich ist es nicht irgendein lästiger Nachbar. Diese Tote wird deine Frau sein. Wie fühlt sich das an?«
Ramscheidt als Biels Rächer? Lächerlich!
»Konni«, wimmerte Elena, »wovon …«
»Ich habe keine Ahnung!«
»Scaffo, mach du«, befahl Ramscheidt.
Der Ex-Söldner baute sich neben Terz auf und hob die Hand.
Panisch sah Elena zu ihm auf.
Himmel, dachte Terz, jetzt greift endlich ein!
In der Baumkrone über ihnen stritten ein paar Vögel aufgeregt, dann verstummten sie. Für einen Augenblick war der Wald still.
Das kaum hörbare Klicken einer Kamera konnte niemand wahrnehmen, der nicht damit rechnete. Doch selbst wenn Terz’ Ohren ihm einen Streich gespielt hatten, musste er jetzt handeln. Er schrie aus vollem Hals:
»Hast du alles auf Film, Fodl?!«
Er nützte Ramscheidts Überraschung und warf mit ganzer Kraft seinen Kopf zurück. Gleichzeitig trat er mit seinem Fuß gegen Ramscheidts Knie. Die Stelle hatten sie in der Ausbildung immer wieder trainiert. Ramscheidt grunzte und knickte ein.
Dann brach das Chaos aus.
Aus Scaffos Rücken platzten kleine Brunnen mit roten Strahlen. Der Riese stand wie eine Statue mit erhobener Hand vor Elena. Dann taumelte er zur Seite.
»Polizei! Waffen weg!«, brüllte eine Stimme. Schüsse fielen.
Aus dem Brustkorb von Elenas einem Bewacher sprudelte Blut über sie. Der Kopf des anderen platzte. Beide fielen und rissen die entsetzte Frau mit sich.
Aus den Augenwinkeln sah Terz, wie Ramscheidt ins Gebüsch sprang.
Der Platz wimmelte auf einmal von bewaffneten Beamten. Gebrüll. Schüsse. Terz stürzte zu Elena. Blutüberströmt wand sie sich unter den angeschossenen Männern hervor.
»Alles in Ordnung?
»Ich glaube schon«, schluchzte sie.
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