Das Prometheus Mosaik - Thriller
Interesse verfolgt.« Er zog die Hand aus der Manteltasche. »Und ich habe etwas für Sie. Ich möchte Ihnen … ein Angebot machen.«
Die Finger seiner rechten Hand umfassten ein Stück Papier von der Größe einer Postkarte, einmal quer gefalzt. Er faltete es auseinander und hielt es den Eheleuten so hin, dass sie erkennen konnten, was darauf zu sehen war. Es war nicht viel, und doch verriet es den beiden mehr, als jemand mit allen Worten der Welt hätte sagen können.
Etwas im Kopf des Mannes sperrte sich gegen die Erkenntnis, die dieses runenartige Symbol in ihm auslöste. Doch allem Zweifel zum Trotz verdichtete sich das eben noch vage Gefühl von Hoffnung zu einer Gewissheit, die plötzlich keiner Grundlage mehr zu entbehren schien – und die felsenfest wurde, als seine Frau den Zettel entgegennahm und den Namen des Fremden aussprach, ihn hauchte wie den eines Götzen, dessen Anrufung verboten war.
Es gab sie also doch.
Sie, von denen in der Fachwelt jeder schon einmal gehört hatte und an deren Existenz doch keiner recht glauben wollte. Weil nichts, was man sich über sie erzählte, über Hörensagen hinausging. Und weil alles, was man von ihnen hörte und sagte, zu fantastisch, zu wundersam klang, um wahr zu sein.
Auch der Vater des Jungen hatte bislang zu den Ungläubigen und Zweiflern gehört. Doch jetzt spürte er förmlich, wie er sich von ihnen löste, wie in ebendiesem Augenblick das Band durchtrennt wurde, das ihn all die Jahre an eine Welt voller Kleingeister gefesselt hatte. Auf einmal fühlte er sich frei, so frei wie noch nie zuvor. Er hatte den Eindruck, in die Höhe zu schweben, als er sich von seinem Stuhl erhob und die Hand ausstreckte, in die der nun nicht mehr so Fremde einschlug.
»Sie können von mir verlangen, was Sie wollen«, sagte der Mann und wurde von neuem unterbrochen.
»Ich weiß.« Der andere nickte. »Zunächst möchte ich allerdings nur eines.«
Er hielt die Hand des Mannes weiter fest umschlossen und begegnete seiner fragenden Miene mit bestimmtem Blick. »Ich möchte, dass Sie Ihren Sohn retten.«
»Das werde ich versuchen.«
»Nein.« Härte trat in die Züge und den Ton des anderen. »Wir tun, was andere nur ›versuchen‹. Und genau das erwarte ich auch von Ihnen. Sollten Sie sich entscheiden, durch die Tür zu treten, die wir Ihnen öffnen, müssen Sie das Unmögliche möglich machen.«
Der Vater des Jungen verstärkte den Griff um die Hand des Mannes. Mit derselben wiedergewonnenen Kraft blickte er fest in die grünen Augen.
»Ich werde Sie nicht enttäuschen«, versprach er. Und der Blick, mit dem er seine Frau und seinen sterbenden Sohn bedachte, sagte: Und euch auch nicht.
Teil I
D ER Z UFALL IST DAS P SEUDONYM ,
DAS DER LIEBE G OTT WÄHLT ,
WENN ER INKOGNITO BLEIBEN WILL .
A LBERT S CHWEITZER
Jahre später
5. April
B ERLIN , S ANKT -V INZENZ -K RANKENHAUS
Theo Lassing rang mit dem Tod.
Zum vierundsiebzigsten Mal, das wusste er genau, denn er führte Buch darüber. Und wie die dreiundsiebzig Male zuvor ging es nicht um sein Leben, sondern um das eines Fremden. Eines Menschen, den er nicht kannte, dem er nie zuvor begegnet war und für den er doch sein ganzes Wissen und Können in die Waagschale warf.
Wie es sich für einen guten Arzt gehörte.
Ein Außenstehender hätte ihn in dieser Situation allerdings leicht mit einem Metzger verwechseln können: In den blutverschmierten Händen hielt er ein tropfendes Etwas von der Form einer sehr großen, dicken Bohne, das er der Operationsschwester zur Entsorgung reichte. Die sichtbare Rissverletzung der Milz wäre nicht heilbar gewesen. Ohne Milz konnte der verunglückte Motorradfahrer jedoch weiterleben. Ihre Funktion würde nach der operativen Entfernung von anderen lymphatischen Organen wie der Leber übernommen werden. Letztere zu retten war deshalb Theos nächster Zug in diesem Kampf, bei dem der Tod zurzeit nach Punkten in Führung lag.
Mit halbem Ohr bekam Theo mit, wie sein indischer Studienfreund und jetziger Kollege Yash Kapoor am Telefon fluchend mehr Blutplasma anforderte. Gleichzeitig setzte Yash seine Bemühungen fort, den Rest des Blutes, der noch durch die Adern des Patienten floss, mit Klemmen, Klammern und bloßen Fingern am Austreten durch eine der zahlreichen Wunden zu hindern. Der metallische Geruch nach Blut überwog dennoch längst den stechenden der Desinfektionsmittel.
Der Blutverlust und der instabile Puls des Patienten stellten jetzt das ärgste Problem dar. Theo wusste, dass
Weitere Kostenlose Bücher