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Das Prometheus Projekt

Das Prometheus Projekt

Titel: Das Prometheus Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker C Dützer
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Zögernd begann sie zu erzählen, was sich am Abend zuvor zugetragen hatte.
    Andi schüttelte den Kopf und tauchte die Farbrolle in den Eimer. „Ich wollte es gestern nicht so direkt sagen, aber wenn du mich fragst – die sind alle total durchgeknallt hier.“ Er schaute sie prüfend an. „Du scheinst der einzige vernünftige Mensch in diesem Kasten zu sein.“
    Wütend rollte er die Farbe auf den Putz. „Warum packst du nicht einfach deine Koffer und gehst? Du bist doch alt genug. Niemand kann dich zwingen, in diesem Psycho-Gulag zu versauern.“
    Miriam wrang das Fensterleder aus und begann, die Scheibe zu trocknen. Sie dachte an den Traum von gestern Abend. „Ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll“, sagte sie leise.
    Andi begriff plötzlich, dass Miriam nicht das Geringste vom Leben wusste, und wie schwer es für sie sein musste, die Sekte zu verlassen. Er fühlte unbändigen Zorn in sich aufsteigen. „Für so was gibt es Selbsthilfegruppen“, sagte er.
    Miriam hielt in ihrer Arbeit inne. „Was meinst du damit?“
    „Glaubst du, du wärst die einzige, der so was passiert?“, fragte Andi. „Es gibt viele Menschen, die einer Sekte den Rücken gekehrt haben. Und sie bieten anderen Leuten Hilfe an, die aussteigen wollen und sich nicht trauen. Sie kümmern sichum alles, Behördengänge, eine Wohnung, Arbeit. Und sie passen auf, dass du nicht wieder bei diesen Rattenfängern landest!“
    Miriam kämpfte gegen den Nebel in ihrem Kopf an. Was war nur los mit ihr? In ihr keimte Hoffnung auf. Wenn es anderen Menschen gelungen war, in der Welt dort draußen Fuß zu fassen, konnte sie das auch!
    „Ich hör mich mal um, wenn du willst“, schlug Andi vor. Miriam konnte ihr Glück kaum fassen. „Das würdet du tun?“, fragte sie vorsichtig. Andi zuckte mit den Schultern. „Klar. Warum nicht?“ Er setzte seine Farbrolle ab. „Ich mach’ dir einen Vorschlag: Wir treffen uns heute Abend. Ich habe übrigens dein Handy dabei“, sagte er grinsend. „Dann schauen wir mal im Internet nach. Dort finden wir mit Sicherheit Adressen, die dir weiterhelfen.“
    „Hör auf zu schwatzen, Miriam!“ Die Stimme der Seelenhüterin hallte über den Flur. Miriam drehte sich zu ihr um und ließ die tadelnde Predigt über sich ergehen. Sie stellte erstaunt fest, dass es ihr nicht viel ausmachte. Und das lag nicht an der seltsamen Teilnahmslosigkeit, die sie seit dem Morgen überfallen hatte. Die Aussicht, ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen, ließ die Bibelsprüche der Seelenhüterin wirkungslos an Melanie abprallen. Sie nahm das Fensterleder und arbeitete schweigend weiter. Nachdem sich die Schritte der strengen alten Frau entfernt hatten, begann Miriam zu kichern. Aus dem Kichern wurde schnell ein helles Lachen. Andi schaute sie verblüfft an, dann fiel er in ihr Lachen ein. Miriam bekam nach kurzer Zeit keine Luft mehr, denn sie hatte in ihrem ganzen Leben noch niemals so gelacht.
     
    Esdämmerte bereits, als Miriam durch einen Nebeneingang den Teil des Gebäudes verließ, indem sich die Wohnung von Melanies Eltern befand. Sie lief über die Zufahrtsstraße und tauchte in den schattigen Park auf der anderen Seite ein. Die Buchen und Lorbeerbüsche verbargen ihre schlanke Gestalt nach wenigen Schritten.
    Obwohl der Tag warm und sonnig gewesen war, kühlten die Abende bereits empfindlich ab. Miriam hatte sich eine dunkelgraue Wollweste um die Schultern gelegt und beeilte sich, den Park zu durchqueren. Die tief stehende Sonne drang nicht mehr durch das dichte Laubdach der alten Bäume, aber der Parkplatz am anderen Ende der Rasenfläche badete noch im Licht der Abendsonne.
    Miriam hatte sich an die farblose Einheitskleidung gewöhnt, die alle Frauen und Männer der Sekte trugen und es hatte ihr bisher nie viel ausgemacht. Doch an diesem Abend vermisste sie den Luxus, einen Kleiderschrank voll leuchtend bunter Kleider zu besitzen. Sie zog die Strickjacke enger um die Schultern und nahm sich fest vor, das alles nachzuholen.
    Sie hatte versucht, mit den wenigen Mitteln, die sie besaß, etwas aus ihrem Haar zu machen, es jedoch beinahe nur noch schlimmer gemacht, weil sie keinerlei Erfahrungen auf diesem Gebiet besaß.
    Andi saß auf der Ziegelmauer, die den Parkplatz vom Park abgrenzte und wandte ihr den Rücken zu. Den farbverschmierten Overall hatte er gegen Jeans und ein dunkelgrünes Poloshirt ausgetauscht. Er kam Miriam fremd vor, weil er andere Kleidung trug. Jäh überfiel sie Angst; Furcht, ihren

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