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Das Prometheus Projekt

Das Prometheus Projekt

Titel: Das Prometheus Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker C Dützer
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Gelegenheiten, bei denen sie mit ihm zu tun gehabt hatte, war in ihr das Gefühl gewachsen, dass er absichtlich ihre Nähe suchte. Und nun wusste sie auch, warum. Sie schauderte.
    Natürlich konnte nicht jeder die braunen Augen von Andi haben, den sie vor ein paar Tagen kennen gelernt hatte. Aber Miriam hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, vielleicht mehr Zeit mit Gideon verbringen zu müssen - bis gestern Abend.
    Natürlich würde der Täufer sie nicht zwangsweise mit Gideon verheiraten. Auch er war an die Gesetze gebunden. Zwar lebte die Sekte der Johannes-Jünger zurückgezogen von der Welt in diesem abseits gelegenen Tal, aber das machte den Täufer nicht zu einem allmächtigen Regenten. Es kam immer wieder vor, dass ein Mitglied die Sekte verließ, aber darüber sprach man nicht. Die Aufmerksamkeit der Welt war an diesem Ort nicht erwünscht.
    Eine tiefe Unruhe wühlte in Miriams Bauch. Der gerissene Sektenführerwürde andere, subtilere Mittel und Wege finden, seinen Willen durchzusetzen.
    Miriam seufzte und wrang das Putztuch aus. Heute fiel ihr die Aufgabe zu, die drei verwinkelten Korridore des südlichen Flügels zu putzen. Plötzlich ließ sie den Lappen platschend in den Eimer fallen. Andi! Ihre Verabredung! Durch die ungeheuerliche Bitte des Täufers hatte sie den Jungen mit den dunklen Locken vollkommen vergessen!
    Miriam lief den Gang entlang und öffnete eins der hohen Fenster. Sie lehnte sich weit über die Brüstung, um den anderen Flügel einsehen zu können. Das Baugerüst der Maler stand noch an Ort und Stelle. Aber wie sollte sie ihn finden? Wahrscheinlich war er sauer, weil sie ihn versetzt hatte. Und wenn sie ihn nie wieder sah? Ihr Puls hämmerte wild in ihren Schläfen.
    Aus dem Küchentrakt zwei Stockwerke unter ihr zogen verlockende Düfte in ihre Nase. Miriams Magen knurrte. Sie hatte seit dem frühen gestrigen Abend nichts mehr gegessen. Das Mädchen schloss das Fenster, trug ihr Arbeitszeug in die Kammer am Ende des Ganges und machte sich auf den Weg zum Speisesaal. Vielleicht wusste Melanie, an welchem Gebäudeteil die Maler heute arbeiteten.
    Als sie den Saal betrat, setzte sich Melanie gerade zu ihren Eltern an einen der Tische. Miriam bereute, dass sie heute Morgen nicht mit ihr gesprochen hatte. Ihr hatte einfach nicht der Sinn danach gestanden. Schnell eilte sie zum Tisch und setzte sich auf den Stuhl neben ihr.
    „Hallo“, begrüßte sie ihre Freundin. Melanie hielt den Kopf gesenkt. Sie warf ihr aus dem Augenwinkel einen kurzen Blick zu und starrte dann wieder auf ihren Teller. Also hattesie Melanie doch verstimmt.
    „Ich war schlecht gelaunt heute Morgen“, begann Miriam. „Entschuldige.“
    Melanie faltete die Hände und sprach gemeinsam mit ihren Eltern ein Tischgebet. Miriam rasselte die Worte herunter und griff nach dem Essen. Sie war hungrig. „Sag mal, weißt du, wo die Maler heute arbeiten?“, fragte sie beiläufig.
    Melanie antwortete nicht. „Melanie?“
    Das Mädchen hielt den Blick gesenkt und schüttelte unmerklich den Kopf. Miriam runzelte die Stirn. Auf dem Stuhl neben ihr saß Jürgen, der ältere Mann, der mit seiner Frau eine Etage über Miriam wohnte. Obwohl die Mitglieder meist den ganzen Tag über in Gruppen ihren jeweiligen Tätigkeiten nachgingen, wohnte jede Familie für sich in einer kleinen Wohnung und hatte so ein Minimum Privatsphäre. Doch galt auch hier die Vorschrift, dass es im Haus keine verschlossene Tür gab.
    Miriam begrüßte Jürgen freundlich und fand ihre Ahnung bestätigt. Er redete nicht mit ihr, ignorierte sie, als sei sie gar nicht anwesend. „Meinst du nicht auch, dass es Regen gibt?“, versuchte sie es noch einmal. Er blieb stumm.
    Niemand würde mit ihr reden. Der Täufer hatte es verboten. So also versuchte er, seinen Willen durchzusetzen. Miriam aß schweigend, während die Gedanken in ihrem Kopf rasten. Sie musste Andi finden.
     
    Sie verbrachte den Rest des Tages wie ein Schweigemönch. Beim Abendessen wiederholte sich das teuflische Spiel vom Mittag, und dabei behandelte niemand Miriam wie eine Aussätzige; nein, es war, als sei sie gar nicht existent – einGeist in der belebten Welt.
    Sie versuchte noch zweimal, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Gespenstern antwortet man nicht. Im Lauf des Tages hatte Miriam ein neues Gefühl entdeckt: Es kroch zögernd heran wie ein dunkler Schatten und klammerte seine schwarzen Klauen um ihr Herz. Miriam war wütend, zornig, und bald kochte sie wie Kessel voller

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