Das Prometheus Projekt
tollkühnen Plan nicht umsetzen zu können, Angst, die zerbrechliche Brücke in die Welt dort draußen könne zusammenstürzen, bevor sie einen ersten Schritt auf ihr getan hatte.
Andi begrüßte sie fröhlich. Miriam setzte sich zu ihm auf die Mauer. Sie schloss die Augen und genoss die warmen Strahlen der untergehenden Sonne auf ihrer Haut.
„Hier“, sagte Andy und drückte ihr das Handy in die Hand. Miriam öffnete die Augen und blickte auf den kleinen Computer. „Aber ich kann das ja gar nicht bezahlen“, sagte sie kleinlaut.
Andy winkte ab. „Ich schenk’ es dir, hab ich doch gesagt. Ich hab’s billig gekriegt.“
„Aber das kann ich nicht annehmen!“
„Klar kannst du. Schalt es ein.“
Miriams Augen überflogen hilflos das dunkle Display. Andi zeigte ihr einen kleinen Schalter an der Seite, reichte ihr den Kopfhörer und berührte mehrere Icons. Miriam hörte Musik. Sie schloss die Augen und ließ sich vom Rhythmus und der Melodie treiben. Und sie wollte sie nicht wieder öffnen, weil sie befürchtete, den Zauber dieses Augenblicks für immer zu verlieren. Als das Lied zu Ende war, nahm sie den Kopfhörer ab und strahlte.
„Pass auf“, sagte Andi. Er erklärte ihr geduldig die Funktionen des Gerätes. Obwohl sie schnell begriff, war ihr klar, dass sie ungeheuer viel nachzuholen hatte und es Wochen dauern würde, bis sie all das verstanden hatte. Sie wurde mutlos.
„Telefonieren und Internet geht natürlich nur mit Chip“, erklärte Andi. „Du musst dich erst anmelden und einen Vertrag abschließen.“
„Oh“, machte Miriam. Ihr wurde klar, dass es nicht so einfach werden würde. Aber wenn sie bereits an einer Kleinigkeit wie dieser scheiterte, wie sollte sie die vielen anderen Aufgaben bewältigen, die noch vor ihr lagen?
Andi blickte sie neugierig an und begriff dann. Miriam hatte kein Geld. Sie brauchte für ihr Leben in der Sekte kein Geld, es war bisher bedeutungslos für sie gewesen. Er verspürte erneut Zorn in sich aufsteigen, weil sie das Mädchen von allem abgeschnitten hatten. Sie hatten ihr jegliches Recht auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung genommen, ohne dass sie es überhaupt bemerkt hatte. Er suchte nach seinem Handy, zog die Chipkarte heraus und steckte sie in Miriams Telefon.
„Ich geb’ dir meinen Chip. Ich hab’ zwei Handys. Wenn du wirklich hier raus willst, gibst du mir den Chip in ein paar Tagen zurück und meldest dich an. Bis dahin kannst du ihn behalten.“ Er zog einen Zettel aus der Hosentasche und reichte ihn ihr. „Das ist übrigens die Adresse einer Selbsthilfegruppe. Ruf einfach dort an. Ich bin sicher, die helfen dir sofort.“
Miriam nahm den Zettel entgegen. Ihre Finger zitterten. Konnte das alles doch so einfach sein?
Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. Es fiel ihr noch immer schwer, sich zu konzentrieren. Die Benommenheit hatte im Lauf des Tages nachgelassen, lag aber dennoch wie ein Schleier über ihr.
Andi hielt sein Handy hoch und machte ein Foto von Miriam. „Da, schau!“ Er zeigte ihr das fertige Bild. Miriam riss die Augen auf. „Man kann damit auch Bilder machen?“
„Ja, klar“, sagte Andi grinsend. Ihre kindliche Unwissenheitfaszinierte ihn. Sie war so ganz anders wie die Mädchen, mit denen er sonst zu tun hatte. Miriam war erfrischend aufrichtig. Die komplizierten Balzrituale der Großstädter waren ihr vollkommen fremd. Plötzlich senkte sie den Kopf und knetete nervös die Hände.
„Was hast du?“, fragte er.
„Ich habe noch nicht einmal einen Ausweis“, antwortete sie. „Ich meine, den brauche ich doch.“
„Du hast mit Sicherheit einen. Du weißt nur nicht, wo er ist“, antwortete er und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht fassen, dass ihr nur einen einzigen Fernseher habt. Ihr habt ja praktisch überhaupt keine Verbindung zur Außenwelt. Woher wisst ihr denn, was in der Welt so los ist?“
Miriam zögerte. Sie wollte sich nicht lächerlich machen. „Die Seelenhüterin erzählt es uns. Und natürlich der Täufer.“
Natürlich , dachte Andy. Alle Informationen von draußen werden gefiltert, bevor sie weitergegeben werden.
„Seelenhüterin“, wiederholte er. „Was ist das eigentlich?“
„Sie passt auf meine Seele auf. Das gibt es doch bei der katholischen Kirche auch“, sagte sie. „Ich glaube, man nennt das Pate!“
„Da gibt’s schon noch eine paar Unterschiede“, murmelte Andi.
„Der Täufer hat einen Computer“, platzte Miriam heraus.
„Na klar“, sagte Andy. „Er ist
Weitere Kostenlose Bücher