Das Prometheus Projekt
vermisst haben.“
„Ich kann mich nur an wenige Dinge erinnern. Meine Eltern hatten kaum Kontakt zu Nachbarn oder Bekannten.“ Sie blickte ihn offen an, ihre Unterlippe zitterte, als koste sie es alle Kraft, ihn nur anzusehen.
„Ich will fort von hier“, presste sie hervor. „Aber wie soll ich mich außerhalb dieser Mauern zurechtfinden? Bis vor kurzem wusste ich noch rein gar nichts über die Welt, noch nicht mal, was ein Mobiltelefon ist. Aber Josua wollte ebenfalls aussteigen. Und er wollte mich mitnehmen.“
„Wer ist Josua?“
„Josua Kazaan. Er war im letzten Jahr oft unterwegs und hat viele Aufträge für den Täufer erledigt. Josua hat mir von der Welt erzählt, von den Menschen, die er getroffen hat und von seinen Erlebnissen.“
„Was kam dazwischen?“
Miriam senkte den Kopf. Sie begann zu weinen. „Ich weiß es nicht. Josua wollte einen letzten Auftrag für den Täufer erledigen. Er sagte, er sei es ihm schuldig.“ Sie schniefte.
Sehner reichte ihr ein Papiertaschentuch. Plötzlich war er hellwach. „Aber Josua kam nicht wieder. Er ist jetzt seit drei Monaten verschwunden.“
Sehner blickte auf die beschlagene Windschutzscheibe und entspannte sich wieder. Wahrscheinlich hatte diese Begebenheit nichts mit seinem Fall zu tun. Dieser Josua hatte beschlossen, der Sekte den Rücken zu kehren. Vielleicht hatte er eine Frau kennen gelernt und Miriam vergessen. Und das Mädchen hatte sich völlig falsche Hoffnungen gemacht.
Einer Eingebung folgend griff er in die Jackentasche und holte das Fahndungsfoto hervor. „Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?“
Miriam starrte auf das Bild und nickte erregt. „Das ist Josua! Er trug die Haare länger, als er ging, aber das ist er.“ Plötzlich fuhr sie erschrocken hoch. „Was ist mit ihm? Ist ihm etwas zugestoßen?“
Sehner steckte die Fotografie wieder ein. „Das weiß ich noch nicht. Wie gut kennen Sie Josua Kazaan?“
Miriam schwieg eine Weile. Sehner sah, dass sie mit sich kämpfte. Dieses Mädchen kannte kein Selbstvertrauen. Er musste äußerst behutsam vorgehen, wenn er ihr Informationen entlockenwollte. „Wenn Sie Hilfe brauchen …“, versuchte er es.
Das Mädchen suchte die Taschen seines Rockes ab und reichte Sehner einen Zettel. „Die Aussteiger?“, murmelte er fragend.
„Ein Freund hat mir gesagt, dass ich dort Hilfe finde“, sagte sie. „Das ist eine Selbsthilfegruppe für Menschen, die aus einer Sekte aussteigen wollen.“
Sehner überlegte. Offiziell konnte er gar nichts unternehmen. Es gab im Augenblick keinen Grund für Ermittlungen. Aber er hatte ja auch noch eine private Seite. Er gab Miriam den Zettel zurück. „Ich werde Ihnen helfen, machen Sie sich keine Sorgen. Erzählen Sie mir von Josua Kazaan.“
Miriam begann stockend zu berichten, was sich gestern Abend im Zimmer des Täufers zugetragen hatte. Sie gab Sehner den Speicherstick, den sie an einem Schnürsenkel um den Hals trug. Sehner ließ den Stick in seiner Hand verschwinden. Endlich hatte er eine konkrete Spur!
„Wir sind hier zusammen aufgewachsen“, begann Miriam. „Josua war immer sehr ernst. Er lachte fast nie.“
Sehner fragte sich, ob hinter diesen Mauern überhaupt jemand lachte. Wahrscheinlich hatte es dieser charismatische Irre untersagt, weil nichts davon in der Bibel stand.
Miriam berichtete von ihrer gemeinsamen Kindheit, von ihrem eintönigen Tagesablauf und von Josuas Feuereifer, wenn es um Glaubensdinge ging. „Der Täufer sagte oft, wir sollten uns ein Beispiel an Josua nehmen. Er verrichtete seine Arbeit, ohne sich zu beklagen und bemühte sich stets, in allem dem Täufer nachzueifern.“
„Warum war er wohl so?“ fragte Sehner und blickte verstohlen auf die Uhr. Der Speicherstick brannte in seiner Hand wie ein kleines Feuer. Er musste wissen, welche Daten Miriam gefunden hatte.
Sie berichtete weiter: „Manchmal kam es mir so vor, als ob Josua eine schreckliche Last tragen würde, so als ob er büßen wollte für etwas, was er in der Vergangenheit getan hatte. Aber was könnte das sein? Ich war fünf, als er in die Sekte kam und Josua ist nur zwei Jahre älter als ich.“
Sehner stutzte. „Was ist mit seinen Eltern? Er kam doch nicht alleine?“
Miriam sah ihn hilflos an. „Ich weiß es nicht. Andi hat alles kopiert. Ich hatte gerade angefangen zu lesen, als wir gestört wurden.“
„Sie sagen, Josua hat sich in den letzten Wochen vor seinem Verschwinden verändert. Was genau meinen Sie damit?“
„Er war
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