Das Prometheus Projekt
nicht mehr so überzeugt davon, dass alles richtig ist, was der Täufer uns lehrt. Seine Zweifel wuchsen. Er hat oft mit mir darüber gesprochen. Manchmal glaubte ich, er sei kurz davor, mir zu erzählen, was ihn bedrückte, aber dann schwieg er doch nur.“
Miriam blickte sich gehetzt um. „Ich kann nicht so lange weg bleiben. Man wird mich vermissen!“
Sehner nagte an seiner Unterlippe und überlegte. „Sind Sie sicher, dass Sie die Sekte verlassen wollen?“
„Ich kann nicht“, würgte sie hervor. Sie begann zu weinen.
„Natürlich können Sie! Niemand kann Sie zwingen, hier zu bleiben!“, sagte Sehner ärgerlich.
Miriam schüttelte den Kopf. „Sie werden mich einsperren!“
DerKommissar runzelte die Stirn. „Ich? Die Polizei? Warum sollten wir das tun? Sie haben nichts Unrechtes getan!“
„Und wenn doch?“
Sehner lächelte und wünschte sich, dass das an ihm nicht immer aussehen würde, als wolle er die Leute auffressen.
„Das Gesetz ist ein sehr dehnbarer Gegenstand“, sagte er. „Ob Sie sich in irgendeiner Weise strafbar gemacht haben, kann ich nur beurteilen, wenn Sie mir alles erzählen. Außerdem wirkt sich das im Falle eines Falles immer mildernd auf das Strafmaß aus.“
Miriam saß zusammengesunken auf dem Beifahrersitz. Sie zitterte am ganzen Leib. Sehner war lange genug Polizist, um zu erkennen, dass hier etwas nicht stimmte. „Nur heraus damit!“, seufzte er. „So schlimm wird’s schon nicht werden.“
Miriam begann zu erzählen.
Nach zehn Minuten hatte Sehner seine Meinung geändert. Das Mädchen beichtete unter Tränen den Mord an Dr. Alfred Hussek.
Sehner nickte. „Gut. Haben Sie den Kinderausweis dabei?“ Miriam nickte. Sie trug den Pass ständig bei sich, aus Angst, er könne verschwinden wie das Handy.
Sehner startete den Motor. „Wenn Sie einverstanden sind, bringe ich Sie jetzt zu dieser Selbsthilfegruppe. Ich nehme nicht an, dass Sie irgendetwas von Wert zurücklassen?“
Miriam schüttelte den Kopf. „Aber verhaften Sie mich denn nicht?“
„Vorerst sind Sie nur ein wichtiger Zeuge. Ob Sie überhaupt eine Schuld trifft, wird ein Richter entscheiden. Und ich bezweifle stark, dass es zu einer Verurteilung kommt.“ Er schenkte ihr ein grimmiges Lächeln. „Außerdem haben Sie mir soeben den Täufer ans Messer geliefert. Das wird sich auf jeden Fall positiv für Sie auswirken!“
Sehner legte den Rückwärtsgang ein und wendete. Dann fuhr er den kurvenreichen Weg hinunter, bis er an die Bundesstraße gelangte. Miriams Herz trommelte einen schnellen Wirbel gegen ihre Brust. Mehrmals war sie versucht, aufzuschreien und den Polizisten zu bitten, umzudrehen. Aber sie brachte keinen Ton heraus, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Was mit ihr geschah, war unumgänglich. Und es war genau das, was sie wollte, auch wenn es sie vor Angst zu zerreißen drohte.
Nach zwanzig Minuten setzte Sehner das Mädchen vor dem Haus der Selbsthilfegruppe ab. Er begleitete sie hinein, um sich davon zu überzeugen, dass man sich um sie kümmerte. Die Mitglieder der Gruppe machten auf ihn einen entschlossenen und kompetenten Eindruck. Sie wussten, was sie taten und sie kannten die Methoden ihrer Gegner sehr genau. Die Johannes-Jünger waren ihnen nicht unbekannt.
Nachdem Sehner das Gefühl hatte, Miriam sei in guten Händen, versprach er, in den nächsten Tagen vorbeizuschauen und verabschiedete sich dann.
In seinem Kopf hatte von diesem Moment an nur noch der Speicherstick Platz. Doch zuvor musste er noch eine andere Sache erledigen. Er rief Windhagen an und bestellte seine Truppe. Außerdem bat er ihn, ein Laptop mitzubringen. Dann befestigte er das Magnetblaulicht auf dem Dach des Passats und raste zu Husseks Adresse. Als er dort ankam, wartete Engelmann bereits auf ihn.
In der Garage fanden sie Janas blutverschmierte Leiche, undim Heizungskeller stießen sie auf Hussek. Miriams Beschreibung stimmte. Hussek war an ein Rohr gekettet, seine Leiche bestialisch zugerichtet. Sehner war sicher, dass er den Wissenschaftler vor sich hatte, aber identifizieren konnte er ihn nicht. Sein Schädel war vollkommen zertrümmert, das Gesicht eine blutige Masse. Der irre Gideon musste Dutzende Male mit dem Hammer auf Hussek eingeschlagen haben.
Sehner wandte sich ab und ließ Engelmann seine Arbeit machen. Zusammen mit Windhagen durchsuchte der Kommissar das Haus. Miriam hatte davon gesprochen, dass Josua Kazaan in die Schweiz gefahren war, um dort an einem Projekt namens „Prometheus“
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