Das Prometheus Projekt
Mann hier nicht bekannt ist.“
„Überlassen Sie das gefälligst mir“, knurrte Sehner ärgerlich. „Ich will in zehn Minuten alle Mitglieder Ihrer Sekte sehen.“
Der Täufer setzte sich an den Schreibtisch und zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Besorgen Sie sich die Erlaubnis dazu.“
Sehner trat dicht an den Tisch heran, stützte seine breiten Hände auf die Tischplatte und beugte sich soweit vor, bis seine Nasenspitze beinahe die Brille des Täufers berührte. „ Ich bin die Erlaubnis!“, sagte er.
Der Täufer holte ungerührt eine Akte aus einer Schublade, schlug sie auf und begann konzentriert zu lesen. „Ich habe zu tun. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen?“
„Nein, verdammt“, brüllte Sehner. Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Sofort bereute er, die Fassung verloren zu haben, denn das war es, was der charismatische Seelenfänger hatte erreichen wollen.
Der Täufer hob langsam den Kopf und schaute Sehner kalt an. „Wir betreuen hier eine Reihe von sehr sensiblen Jugendlichen, die zum Teil schwere traumatische Erfahrungen hinter sich haben. Ich befürchte, Ihre Ermittlungen und Ihre ungehobelte Art könnten einen schlechten Einfluss auf ihre weitere Entwicklung nehmen. Das würde uns in ihrer Behandlung Monate zurückwerfen.“
Er klappte die Akte zu. „Sie können gerne unseren Arzt dazu befragen. Besorgen Sie sich einen richterlichen Beschluss oder was immer Sie für richtig halten. Ich versichere Ihnen, unsere Anwälte wissen damit umzugehen. Guten Tag.“
Sehner kochte. Er hatte noch nie eine solche Abfuhr erhalten.
„Wir sehen uns wieder, das verspreche ich Ihnen!“, sagte er mit unterdrücktem Zorn. Er stapfte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Der Knall erzeugte ein vielfaches Echo in den verwinkelten Korridoren.
Wenige Minuten später stand er vor seinem Wagen, ohne zu wissen, wie er dort hin gelangt war. Aufgebracht mahlte er mit den Kiefern. Natürlich konnte er jetzt Wilson informieren. Der Amerikaner würde kein Problem damit haben, denhochgestochenen Sektenführer auseinander zu nehmen. Aber das käme einer erstklassigen Niederlage gleich. Er musste sich etwas anderes einfallen lassen.
Sehner stieg in den Passat, startete den Motor und rollte die Zufahrt hinunter, bis das graue Gebäude hinter einer Biegung verschwunden war. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Sehner schaltete die Scheibenwischer ein und trat im nächsten Augenblick heftig auf die Bremse. Aus dem Wald zu seiner Rechten rannte eine geduckte Gestalt auf die Straße und stellte sich ihm in den Weg.
Der schwere Wagen rutschte auf der nassen Straße und kam wenige Zentimeter vor der Gestalt zum Stillstand. Sie hastete um den Wagen herum, riss die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Sitz fallen. „Fahren Sie! Schnell! Bitte!“
Sehner warf einen Blick auf die Gestalt und trat automatisch aufs Gas. „Sie sind noch bei Trost? Um ein Haar hätte ich Sie über den Haufen gefahren. Was soll diese Vorstellung?“
„Fahren Sie dort vorne rechts in den geteerten Weg. Halten Sie hinter der alten Scheune. Dort sieht man uns von der Straße aus nicht.“
Sehner bog nach hundert Metern ab und stellte den Wagen neben einer baufälligen Holzbaracke ab. „Wer zum Teufel sind Sie?“, fragte er ungehalten. Erst jetzt schaute er sich die Gestalt genauer an. Sie nahm die Kapuze ihrer grauen Regenjacke ab. Ein blonder Haarschopf kam zum Vorschein, der zu einer jungen Frau von etwa zwanzig Jahren gehörte. Ihre blauen Augen blickten ihn voller Angst und unterdrückter Hoffnung an.
„Sind Sie Polizist?“, fragte sie mit bebender Stimme.
„Und wenn ich das bin?“, fragte er abwartend.
„Ich habe den Aufkleber der Polizeigewerkschaft auf Ihrem Wagen gesehen, und das Funkgerät“, sprudelte sie atemlos heraus.
„Springen Sie immer in selbstmörderischer Absicht vor Polizeiwagen?“, fragte Sehner.
Sie senkte den Kopf. „Er hätte mich nie mit Ihnen reden lassen.“
Sehner blickte sie forschend an und begann dann zu verstehen. „Niemand darf Sie hier festhalten. Wenn Sie die Sekte verlassen wollen…“
„Ich heiße Miriam.“
„Miriam. Und weiter?“
Sie knetete aufgeregt ihre Finger. „Schumann.“
Der Name kam ihr fremd vor. „Meine Eltern traten den Johannes-Jüngern bei, als ich noch sehr klein war. Kurz darauf kamen sie bei einem Autounfall ums Leben. Seitdem lebe ich hier.“
„Haben Sie denn keine Verwandten?“, fragte Sehner. „Jemand muss Sie doch
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