Das Pubertier
Pfandbons, dort 200000 Euro pro Jahr als Rente nach nicht einmal zwei überflüssigen Jahren im Amt. Das sei ungerecht, krähte Carla.
Ich wies sie darauf hin, dass es schon Unterschiede innerhalb der Gesellschaft geben müsse. Außerdem habe die Kassiererin ja niemand davon abgehalten, selbst Bundespräsidentin zu werden. Oder Präsidentengattin. Als solche bekommt man erst die Alcopops umsonst und kann dann später noch bei Penny die Pfandbons einlösen. Das mag ungerecht erscheinen, aber eine ganze Industrie lebt davon. Von wem sollen die Medien schließlich berichten, wenn für alle die gleichen Regeln gelten? Und überhaupt: Manche Ämter werden nur der Vorteilsnahme wegen geschaffen. Warum sollte denn jemand Präsident werden, wenn es nur Nachteile hat? Das ist ja nicht logisch.
Carla war damit nicht zufrieden. Und als ich ihr sagte, es kämen keine Alcopops ins Haus, auch nicht in Form von Pfandflaschen, reagierte sie mit milder Wut. Ich schlug ersatzweise eine von mir zubereitete Bowle vor. Sie stimmte zu, bis ihr auffiel, dass ich sie wahrscheinlich bei der Zubereitung um den erhofften Alkohol betrügen würde. Mit dieser Unterstellung hatte sie völlig recht. Peng. Unsere Tochter verpuffte erst, dann verzogen sich ihre qualmenden Reste in ihr Zimmer.
Wir anderen aßen weiter. Unser Sohn Nick brachte ein neues Thema auf. Es ging wie so oft bei ihm um «Star Wars». Sein Lebensthema. Er ist elf Jahre alt, er tauscht die Sammelbildchen, er liest die Bücher, er kennt sich aus. Aber eine Sache macht ihm wirklich Kopfzerbrechen. Sie hat mit «Episode IV » zu tun, dem ehemaligen ersten Teil. Da sendet doch Prinzessin Leia den Droiden R 2 -D 2 mit einer dreidimensionalen Videobotschaft auf den Planeten Tatooine. R 2 -D 2 ist der, der so aussieht wie der Kopf von Gregor Gysi. Sie erinnern sich. Egal. Jedenfalls schauen sich Obi Wan Kenobi und Luke Skywalker diese Botschaft von Prinzessin Leia an. Die ist schadhaft (die Botschaft, nicht die Prinzessin) und wird deshalb mehrfach abgespielt.
Nick stocherte also in seinem Eis herum und sagte: «Warum schießt die Prinzessin den Erzwo-Dezwo in der Rettungskapsel auf diesen Planeten? Das ist doch voll umständlich.» Ich fragte ihn, was er damit meinte, und er sagte: «Warum schickt sie ihm nicht einfach wie jeder normale Mensch eine Mail oder eine SMS oder eine Nachricht über WhatsApp?» Ja. Das sind Fragen, auf die man keine Antwort weiß.
Auch immer wieder bemerkenswert: die unterschiedliche Sicht von Töchtern und Vätern auf die Umwelt. Bisher wurde dieses in allen deutschen Familien brandheiße Thema von einer wissenschaftlichen Betrachtung weitgehend ausgenommen, wahrscheinlich weil die Wissenschaftler ebenfalls Väter sind und sich wie ich in ständiger Angst vor Konfrontationen mit ihren Pubertieren lieber im Labor verkriechen. Oder im Wald. Dort erkunden die Forscher Bäume und kommen zu erstaunlichen Ergebnissen. Letzthin las ich, dass eine Buche mit einem Kronendurchmesser von zwölf Metern eine reine Blattfläche von ungefähr 15000 Quadratmetern aufweist. Das entspricht der Größe zweier im Europacup zugelassener Fußballfelder zuzüglich Coaching-Zonen. Sagenhaft. Wie bekommen die so etwas nur heraus?
Man stelle sich vor, wie ein Baumforscher Buchenblatt für Buchenblatt auf zwei Fußballplätze legt. Alle vierzehn Minuten kommt ein Windstoß, und er muss von vorne beginnen. Abends erzählt er von der Arbeit, aber seine Tochter sagt nur: «Schön blöd, sich den Tag mit so etwas zu versauen.» Oder: «Wayne interessieren diese doofen Blätter?» Und da kann ich wiederum für den traurigen Wissenschaftler antworten: «Mich.» Denn ich bin jener Familientrottel, der genau solches Laub jedes Jahr aufsammelt und entsorgt. Schon oft habe ich mich gefragt, wie groß die Fläche wohl sein mag, die man damit bedecken könnte. Nun weiß ich es, und es wärmt meine Erwachsenenseele. Herzlichen Dank, verzweifelt forschende Mitväter.
Unserer Tochter Carla sind die Zusammenhänge zwischen heimischer Flora und väterlichem Gemüt total wumpe. Wir leben nun einmal in zwei unterschiedlichen Welten. In Carlas Welt bekommt man um 23 Uhr noch mal ein kleines Hüngerchen und verwüstet die Küche. In ihrer Welt ist es normal, um 7 : 50 Uhr morgens noch schnell Kajal aufzutragen, um dann wie Gundel Gaukeley schimpfend hinter dem Schulbus herzurennen. In ihrer Welt kann man gleichzeitig telefonieren, chatten, Musik hören, Besuch haben und Hausaufgaben machen.
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