Das Puppenzimmer - Roman
Puppenzimmer, und er hätte uns dort vielleicht hören können. Es gab noch genug andere Orte, an denen er sein konnte, aber wenn ich ihn nicht in seinem Arbeitszimmer fand, hatte ich ein Problem. Beim Feenfeuer wollte ich ihn jedenfalls nicht suchen, denn ich fürchtete, dass er dort sehen können würde, wenn ich log. Natürlich, ich konnte immer noch zu Violet gehen, aber in diesem Moment erschien es mir sicherer, zuerst Rufus zu Blanches Leiche zu führen. Ich hatte Glück. Er saß an seinem Schreibtisch, und er war allein. Ich klopfte an die Tür, hektisch, als ob ich außer mir vor Angst wäre, und trat ein, ohne lange auf ein Herein zu warten.
»Was ist?« Rufus blickte von seinen Papieren auf; es sah aus, als wäre er gerade dabei, einen Brief zu schreiben, aber die Details interessierten mich nicht. »Habe ich dir aufgetragen, mich zu stören? Ich wüsste nicht.«
»Es ist Blanche!«, rief ich hektisch, strich mir das Kleid glatt, um meine Hände irgendwie zu beschäftigen, und fügte hinzu: »Glaube ich.«
»Beruhige dich!«, fuhr Rufus mich an. »Du bringst hier alles in Unordnung. Sprich in ganzen Sätzen, und dann sag mir, was los ist.«
»Sie hat meinen Schlüssel gestohlen«, ich ließ die Worte aus mir herausbrechen. »Während ich geschlafen habe. Er ist weg. Als ich es gemerkt habe, bin ich sofort zum Puppenzimmer, aber ich komme nicht rein. Es ist abgeschlossen, von innen.«
Rufus war so schnell auf den Beinen, dass er vom Schreibtisch zur Tür kam, ohne dass ich ihn auch nur einen Schritt tun sah – eben noch war er da, dann bei mir. »Dummkopf!«, herrschte er mich an. »Habe ich dir nicht befohlen, auf den Schlüssel aufzupassen? Du hast keine Vorstellung, was passieren kann! Wo hast du ihn aufbewahrt?«
Ich schluchzte, und das musste ich nicht spielen, es waren immer noch so viele Tränen in mir, die hinauswollten. »Auf meinem Nachttisch«, würgte ich hervor, »unter der Waschschüssel, damit ihn niemand sehen konnte. Da war er immer, wenn ich mich hingelegt habe, damit er mich nicht so gegen das Bein drückt –« Ich brach ab, mein Strumpfband ging Rufus nichts an. »Aber als ich aufgestanden bin und ihn wieder einstecken wollte, war er weg, und es kann nur Blanche gewesen sein …«
Aber da durchquerte Rufus schon auf seinen langen Beinen die Halle. Er ging, als ob er keine Knie hätte; vielleicht war er so aufgebracht, dass er nicht mehr daran dachte, wie sich ein menschlicher Körper zu bewegen hatte. Seine Füße berührten den Boden kaum noch, und ich rannte hinter ihm her und glaubte selbst fast einen Augenblick lang, dass wir sie noch retten konnten, dass es noch nicht zu spät war, wenn wir uns nur beeilten.
Dann zog Rufus seinen eigenen Schlüssel hervor, stocherte damit im Schloss herum, bis ich auf der anderen Seite meinen Schlüssel herausfallen hörte, und sperrte die Tür auf. Ich hielt mir die Hände vor die Augen, obwohl ich wusste, welcher Anblick mich erwartete – ich wollte nicht Rufus’ Gesicht sehen müssen, wenn er Blanche fand. Einen Moment lang war es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können; ich wagte kaum zu atmen.
Endlich sagte Rufus, mit einer Stimme, die ganz ruhig war und ganz kalt, aber zugleich seltsam zerbrechlich: »Darum wollte ich nicht, dass sie jemals dieses Zimmer betritt.«
»Was ist mit ihr?«, hörte ich mich fragen. »Warum liegt sie da so seltsam?«
»Rühr dich nicht«, sagte Rufus. »Geh nicht in ihre Nähe. Du kannst ihr nicht mehr helfen.«
Ich biss mir auf die Hand, um nicht laut zu schreien. Es aus Rufus’ Mund zu hören, gab der Sache etwas seltsam Endgültiges, und ich begriff, dass ich die ganze Zeit über gehofft hatte, dass er mit seinen Feenaugen feststellen würde, dass sie doch noch lebte – dass sie vielleicht verletzt war, aber doch noch zu retten.
»Spar dir die Tränen«, herrschte Rufus mich an. »Entwürdige sie nicht in diesem letzten Moment. Du bist schuld, dass es so weit gekommen ist, und du weißt es.«
Hatte er mich und mein Schauspiel durchschaut? Wenn ja, schien es ihm egal zu sein. Es änderte nichts an Blanches Tod. »Ist sie … Ist sie jetzt wieder im Feenland?«, flüsterte ich, aber es bedurfte nur eines Blickes von Rufus, damit ich Bescheid wusste. Blanche war tot. Nicht nur tot in der Menschenwelt, sondern richtig tot, überall.
»Ich werde der Königin die Nachricht überbringen«, sagte Rufus. »Du wartest hier und sorgst dafür, dass niemand dieses Zimmer betritt.
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