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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Fass nichts an.«
    »Ich wusste das nicht«, sagte ich kläglich. »Dass so etwas Schlimmes passieren würde –«
    »Ich habe dir gesagt, dass keine Wahre Fee die Puppen berühren darf«, antwortete Rufus. »Das hätte dir genügen sollen.«
    Dann ging er und ließ mich mit Blanche allein. Auch mit Alan? Ich konnte es nicht sagen. Und ich fragte nicht danach.
    Ich hatte Violet noch nie so still gesehen. Sie saß auf dem Sofa, und an ihr sah Flieder plötzlich aus wie eine Trauerfarbe – mir war noch nie zuvor aufgefallen, wie viel Grau doch darin steckte. Vielleicht lag es an Violets Lächeln. Es fehlte. Und sie sagte nichts. Kein Wort. Saß nur da, in der Mitte des Sofas, als wäre es ein Thron, stocksteif, ohne sich anzulehnen, die Hände im Schoß, und schaute mich an, mit einem Blick, der so leer an Gefühlen war, dass ich nicht sagen konnte, was gerade in ihrem Kopf vorging. Wenn Feen unsterblich waren, machte es das dann nicht umso schwerer, wenn dennoch eine von ihnen starb? Ich wusste zu wenig über sie, und wenn es einen Moment gab, um nicht danach zu fragen, dann war der jetzt.
    Sie machte mir keine Vorwürfe, ebenso wenig wie Rufus. Sie brauchten es nicht zu tun. Es reichte, dass ich selbst sie mir machte. Das Schweigen hing in der Luft, bleiern schwer, nahm mir den Atem, aber ich traute mich nicht, meine Trauer zu zeigen, wenn diese beiden, die Blanche schon so viel länger kannten als ich, keine Miene verzogen. Es machte mir die Feen einmal mehr unheimlich, und sie taten mir leid. Aber ich konnte nicht glauben, dass sie nicht in der Lage sein sollten, Kummer zu empfinden – sie konnten ihn nur nicht hinauslassen. Auch wenn sie keine Träne vergießen mochte, wenn ihr Gesicht nur eingefroren war und ernst, ich wusste, dass jeder Zoll von Violet um Blanche trauerte. Aber es war nicht an mir, sie zu trösten. Und was ich getan hatte, war so unentschuldbar, dass ich noch nicht einmal um Vergebung bitten konnte.
    »Es war ein Fehler«, sagte Rufus irgendwann, mehr in die Luft hinein als zu jemand Bestimmtem, »sie, von allen, als Erstes hierherzuholen – sie hätte die Letzte sein müssen, wenn alles sicher ist. Aber sie wollte es so. Es war ihre eigene Entscheidung.« Dann schwieg er wieder.
    Es stand kein Tee auf dem Tisch, kein Gebäck, nichts, um die Hände abzulenken und dem Mund einen Grund zum Schweigen zu geben. Wir saßen im Salon, die Vorhänge waren zugezogen, und so merkte ich zum ersten Mal, dass auch dieser Raum dunkel sein konnte wie sein Zwilling, selbst wenn die Kerzen brannten. Aber so fühlte ich mich, und so fühlte sich vielleicht auch Violet: Der Sonne beraubt. Rufus war anders. Er schien eher wütend zu sein als in Trauer, und zwar in erster Linie auf sich selbst.
    »Sie wusste, zu was die Puppen in der Lage sind«, sagte er dann. »Wir wussten es alle, nach dem, was mit Lavender passiert ist.«
    Ich zwinkerte und rang mit mir, ob ich nachfragen sollte oder nicht, aber da Rufus nun schwieg, wagte ich es endlich doch: »Ist Miss Lavender auch durch die Puppen gestorben? Ich dachte, es war ihre eigene Sammlung.«
    »Du hast nicht zu denken«, antwortete Rufus. »Und ja, die Puppen haben Lavender getötet. Sie wusste nicht, welche zerstörerische Macht in diesen kleinen Dingen steckt. Lavender hat die Puppen geschaffen, als die Seelen noch jung und schwach waren und noch niemand erahnen konnte, zu was sie heranreifen würden. Lavender hat die Seelen gesammelt, Lavender hat die Puppen gemacht, und Lavender ist durch die Puppen gestorben.«
    Ich nickte, auf der einen Seite froh, endlich Bescheid zu wissen, auf der anderen Seite wütend, dass Rufus mich einfach auf die Puppen losgelassen hatte, ohne mich vorzuwarnen. Was, wenn sie auch mich getötet hätten? Aber selbst wenn, ich war ja noch nicht einmal eine Wahre Fee, es wäre um mich nicht schade gewesen. Dann hätte er eben das nächste Waisenmädchen mit meiner Gabe suchen müssen … Aber ich schluckte den Ärger hinunter. Es war nicht die Zeit für Trotz. Ich musste an Blanche denken, an ihren Überschwang, ihr Lachen, ihre Herrschsucht – so kurz war sie nur da gewesen und hatte doch Hollyhock ihren Stempel aufgedrückt, mehr als ich das jemals können würde. Es gab so viele Menschen, wenn einer mehr oder weniger starb, merkte die Welt keinen Unterschied. Aber wie viele Feen gab es? Eine tote Fee riss ein Loch, das kein Mensch flicken konnte. Aber vielleicht eine andere Fee?
    Mir gingen Blanches Worte nicht mehr aus dem Kopf,

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