Das Rachespiel: Psychothriller (German Edition)
das Gerät an und fühlte sich dabei, als hätten die letzten beiden Minuten alle Kraft aus seinem Körper gesaugt. Er dachte darüber nach, warum das so war. Warum lief er nicht wie ein gehetztes Tier durch die Wohnung und überlegte fieberhaft, was nun zu tun sei? Schon im nächsten Moment gab er sich selbst die Antwort: Weil Annas unerwarteter Anruf die Erinnerung an sie mit solcher Wucht zurückgebracht hatte, dass er das Gefühl hatte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie war mit einem Mal wieder so präsent, als hätte es die vergangenen sieben Monate nicht gegeben.
Seine Anna. Für eine kurze, aber sehr intensive Zeit war sie das gewesen,
seine
Anna. Bastian ließ sich in das weiche Polster zurückfallen und schloss die Augen.
Über ein halbes Jahr war es her, dass sie gegangen war. In einer Art und Weise, die es ihm unmöglich gemacht hatte zu glauben, dass sie es aus freien Stücken tat. Er war absolut sicher gewesen, dass Anna ihn nicht verlassen wollte, sondern musste. Aus welchen Gründen auch immer. Dass sie gelogen hatte, als sie behauptete, ihn nicht genug zu lieben, um mit ihm zusammenbleiben zu können. Er hatte die Lüge in ihren grünen Augen gesehen, als sie vor ihm stand, den kleinen Koffer in der Hand, mit dem sie nur vier Wochen zuvor zu ihm gekommen war.
Bastians Gedanken hangelten sich an seinen Erinnerungen entlang wie an einem straff gespannten Seil. Die kurze, unbeschreiblich glückliche Zeit, die er mit Anna verbracht hatte. Ihre Picknicke am Schweriner See, an dieser nicht einsehbaren kleinen Bucht. Sonntage, die sie komplett im Bett verbracht hatten. Wilde Kissenschlachten, die in leidenschaftliche Umarmungen übergingen und damit endeten, dass sie wohlig ermattet eng aneinandergeschmiegt dalagen. Der Tag, an dem sie sich kennenlernten …
Er wohnte noch nicht lange in Schwerin und war durch Zufall in diese Kneipe geraten, die eigentlich so gar nicht sein Fall war. Er hatte nur ein Bier getrunken und wollte gerade zahlen, als sie plötzlich vor ihm gestanden und ihn stumm angesehen hatte. Bastians erster Gedanke war gewesen: Diese Frau passt nicht hierher. Ihre schlanke, fast zerbrechlich wirkende Gestalt, das zarte, feine Gesicht, umrahmt von einer Flut blonder Haare … das alles stand in geradezu groteskem Kontrast zu der hämmernden Musik im Hintergrund, den Bierpfützen auf den abgenutzten Stehtischen mit den grölenden und schwankenden Typen daran.
»Hallo«, hatte er nur zu ihr gesagt, mehr war ihm nicht eingefallen. Sie hatte ihn angelächelt. »Ich bin Anna. Darf ich mich zu dir stellen?«
Bastian hatte genickt und gesagt: »Ja, sehr gerne.« Sein Herz hatte einen Sprung getan, als sie an ihm vorbei auf die andere Seite des Stehtisches gegangen war und dabei seine Hand berührt hatte. Er …
Jäh wurde er plötzlich in die Gegenwart zurückgeschleudert. Bastian brauchte ein, zwei Sekunden, um zu registrieren, dass das Telefon erneut läutete. Mit einer hastigen Bewegung griff er nach dem Gerät und hatte Mühe, den kleinen Knopf zu drücken, um das Gespräch anzunehmen, so sehr zitterten seine Hände. Sofort hörte er wieder diese Hintergrundgeräusche, den Wind.
»Anna. Anna, bist du das?«, stammelte er in den Hörer. Auf der anderen Seite war ein Schnaufen zu hören, dann sagte eine raue männliche Stimme: »Wer sind Sie?«
Im ersten Moment war Bastian zu keiner Reaktion fähig, seine Gedanken rasten und versuchten, eine logische Erklärung zu finden. Er war sicher, der Anruf kam vom gleichen Telefon wie kurz zuvor der von Anna. Sie hatte große Angst gehabt. Hatte er den Grund ihrer Angst gerade am Telefon? »Hören Sie«, sagte er hastig, »ich möchte Anna sprechen. Wo ist sie?«
Sekundenlang war nur das Rauschen zu hören, dann sagte die Stimme: »Vergessen Sie sie.«
Über Arno Strobel
Arno Strobel , 1962 in Saarlouis geboren, studierte Informationstechnologie und arbeitet heute bei einer großen deutschen Bank in Luxemburg. Mit dem Schreiben begann er im Alter von fast vierzig Jahren. Arno Strobel lebt mit seiner Familie in der Nähe von Trier.
Mehr unter www.arnostrobel.de und http://das-spiel.to
Außerdem bei FISCHER Taschenbuch erschienen:
»Der Trakt«, »Das Wesen«, »Das Skript«, »Der Sarg«
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
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Impressum
Covergestaltung: HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich
Coverabbildung: HAUPTMANN &
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